Sommerlicht Bd. 3 Für alle Ewigkeit
sie noch einige harte Entscheidungen getroffen.«
»Aber?«
»Aber sie war nicht die Frau, die du bist.«
»Ich bin einfach nur ein Mädchen … ich –«
»Du regierst einen Elfenhof. Du befasst dich mit ihrer Politik. Ich glaube, du hast es dir verdient, dass man dich eine Frau nennt.« Grams sprach mit ernster Stimme. Es war der Ton, den sie immer anschlug, wenn sie über Feminismus und Freiheit und Rassengleichheit sprach und all diese Dinge, die ihr heilig waren wie anderen Leuten eine Religion.
»Ich fühle mich noch nicht bereit dazu.«
»Niemand von uns fühlt sich jemals bereit, mein Schatz. Ich bin auch noch nicht bereit dazu, eine alte Dame zu sein. Ich war nicht bereit dazu, Mutter zu sein – weder bei dir noch bei Moira. Und ganz sicher war ich nicht dazu bereit, sie zu verlieren.«
»Oder mich.«
»Ich verliere dich nicht. Das ist das einzige Geschenk, das die Elfen mir jemals gemacht haben. Du wirst immer hier sein, stark und lebendig, noch lange nachdem ich zu Staub geworden bin. Und es wird dir niemals an Geld oder Sicherheit oder Gesundheit mangeln.« Jetzt klang Grams kämpferisch. »Sie haben dir alles gegeben, was ich mir je für dich hätte wünschen können, aber nur, weil du stark genug warst, es dir zu nehmen. Ich werde sie nie mögen, aber dafür, dass es meiner Kleinen gut gehen wird, wenn ich nicht mehr bin … Dafür könnte ich ihnen den ganzen Rest beinahe verzeihen.«
»Sie ist gar nicht bei meiner Geburt gestorben, hab ich Recht?« Ashlyn hatte diese Frage nie gestellt, aber sie wusste, dass die Geschichten in sich nicht stimmig waren. Sie hatte gehört, wie Keenan und Grams sich im letzten Herbst unterhalten hatten.
»Nein, das ist sie nicht.«
»Warum hast du es mir nie erzählt?«
Grams schwieg einige Sekunden. Dann sagte sie: »Als du klein warst, hast du ein Buch gelesen und mir dann erzählt, du wüsstest jetzt, warum deine Mutter dich verlassen hat. Du warst dir so sicher, dass es nicht ihr Fehler war, dass sie eben bloß nicht stark genug war, um Mutter zu sein. Du hast gesagt, du wärst wie die Mädchen in den Geschichten, deren Mütter gestorben seien, damit sie leben konnten.« Grams lächelte zaghaft. »Was hätte ich tun sollen? Es stimmte ja zum Teil: Sie war nicht stark genug, nur nicht auf die Art, die du meintest. Ich konnte dir nicht sagen, dass sie sich entschieden hat, uns zu verlassen, weil sie schon größtenteils eine Elfe war, als du geboren wurdest. In deiner Version war sie nobel und heldenhaft.«
»Ist das der Grund, warum ich so bin? Weil sie kein Mensch mehr war, als ich geboren wurde? War ich überhaupt jemals eine ganz normale Sterbliche?«
Diesmal schwieg Grams so lange, dass Ashlyn sich fragte, ob dies eine Neuauflage des Schweigens werden würde, das immer folgte, wenn die Rede auf Moira kam. Grams saß mehrere Minuten einfach nur da und strich Ashlyn durchs Haar. Schließlich sagte sie: »Das habe ich mich auch gefragt, aber ich habe keine Ahnung. Sie war kaum noch sterblich, als du geboren wurdest. Und dazu noch diese Sehergabe … Ich weiß es nicht.«
»Vielleicht war sie die Königin, die er gesucht hat. Vielleicht auch du. Vielleicht ist das der Grund, warum wir die Sehergabe besitzen. Vielleicht hätte es jede aus unserer Familie sein können. Vielleicht hätte es jede von uns sein können, nachdem Beira ihn verflucht und dieses Elfen-Dingsda versteckt hatte, das einen zur Sommerkönigin machte. Wenn Moira den Test auf sich genommen hätte … vielleicht wäre sie Königin geworden. Ich frage mich, ob ich auch dann als Elfe geendet wäre. Wenn sie nicht mehr richtig sterblich war, als ich geboren wurde –«
Grams unterbrach Ashlyns immer schneller werdenden Redefluss: » Was wäre gewesen, wenn zu spielen hilft dir nicht weiter, Ashlyn.«
»Ich weiß. Aber wenn sie auch eine Elfe wäre … Dann wäre ich nicht allein.«
»Wenn sie sich entschlossen hätte, ihr Dasein als Elfe zu akzeptieren, hätte ich dich auch nicht großziehen müssen. Dann hätte sie dich nicht verlassen.«
»Sie hat mich aber verlassen. Sie wollte lieber sterben, als eine Elfe zu sein. Als das zu sein, was ich jetzt bin.«
»Es tut mir leid.« Grams’ Tränen fielen in Ashlyns Haare. »Ich wünschte, du wüsstest nichts von alldem.«
Und Ashlyn hatte keine Antwort darauf. Sie lag einfach nur da, den Kopf in Grams’ Schoß, so wie sie es viele Male als kleines Mädchen getan hatte. Ihre Mutter hatte dem Tod den Vorzug vor einem Leben als
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