Sommerlicht Bd. 3 Für alle Ewigkeit
an diesem Abend nach Hause kam, überraschte es sie nicht, dass Grams noch auf war und auf sie wartete. Obwohl sie jetzt von Wachen beschützt wurde und die Regel, dass sie den Elfen nicht zeigen durfte, dass sie sie sah, reichlich obsolet geworden war, behandelte Grams sie noch immer wie ein normales Mädchen. Na ja, so normal, wie ich eben jemals war. Zu Hause konnte sie klein sein und Angst haben. Hier wurde sie gescholten, wenn sie vergaß, Milch auf die Einkaufsliste zu setzen, sobald sie den letzten Rest getrunken hatte. Es war ein Zufluchtsort … aber das bedeutete nicht, dass sie die restliche Welt an der Haustür zurücklassen konnte.
Ashlyn ging ins Wohnzimmer. Grams saß mit einer Tasse Tee in der Hand in ihrem Lieblingssessel. Ihre langen grauen Haare waren noch geflochten, aber nicht mehr hochgesteckt.
Der Zopf war länger, als Ashlyn es bei sich selbst jemals ertragen hätte. Als Kind hatte Ashlyn geglaubt, Grams wäre in Wirklichkeit Rapunzel. Wenn es Elfen gab, warum dann nicht auch Rapunzel? Sie wohnten in einem hohen Gebäude mit Fenstern, durch die man auf eine seltsame Welt herabblickte. Grams hatte ihre Haare damals sogar noch länger getragen, und sie waren aschblond gewesen. Einmal hatte Ashlyn sie zu ihrer Theorie befragt.
»Aber bin ich nicht eher die Hexe, die auf deine Sicherheit achtet? Die dich hier oben in unserem Turm gefangen hält?«
Ashlyn dachte darüber nach. »Nein, du bist Rapunzel und wir verstecken uns vor der Hexe.«
»Und was passiert, wenn die Hexe uns findet?«
»Sie wird uns unsere Augen stehlen oder uns totmachen.«
»Und wenn wir den Turm verlassen?« Grams machte aus allem einen Test. Alles bezog sich auf die Elfen, und falsche Antworten bedeuteten, dass Ashlyn länger drinnen bleiben musste. »Wie lauten die Regeln?«
»Ich darf die Elfen nicht ansehen. Ich darf nicht mit den Elfen sprechen. Ich darf die Aufmerksamkeit der Elfen nicht auf mich lenken. Niemals.« Ashlyn zählte die drei Hauptregeln beim Aufsagen an den Fingern ab. »Und ich muss die Regeln immer befolgen.«
»Genau.« Grams nahm sie in den Arm. In ihren Augen schimmerten Tränen. »Wenn du die Regeln nicht befolgst, lässt du die Hexe gewinnen.«
»Ist es das, was mit Momma passiert ist?« Ashlyn versuchte Grams’ Gesicht zu sehen, da sie hoffte, Anhaltspunkte darin zu finden. Selbst damals hatte sie schon gemerkt, dass Grams häufig unvollständige Antworten gab.
Grams drückte sie enger an sich. »Ja, so ungefähr, meine Kleine. So ungefähr.«
Sie sprachen nicht über Moira. Ashlyn schaute Grams an, die einzige Mutter, die sie je gehabt hatte, und fand es furchtbar, dass sie so lange ohne sie würde auskommen müssen. Die Ewigkeit war eine lange Zeit, wenn man keine Familie hatte. Grams, Seth, Leslie, Carla, Rianne, Denny, Grace … alle, die sie vor Keenan gekannt hatte, würden sterben. Und ich werde allein sein. Nur mit Keenan. Sie konnte nicht darum herumreden, wie sehr sie das schmerzte.
»Es gab eine Sondersendung über die Schäden, die der unerwartete Wetterumschwung mit sich bringt.« Grams zeigte zum Fernseher. Jetzt, wo Ashlyn die Verkörperung des Sommers war, liebte sie es, das Wetter genau zu verfolgen. »Ein Beitrag über die Überschwemmungen und ein paar Theorien über die Ursachen der plötzlichen Klimaveränderungen …«
»An dieser Sache mit den Überschwemmungen arbeiten wir bereits.« Ashlyn streifte ihre Schuhe ab. »Die Spekulationen sind allerdings harmlos. Es glaubt niemand daran, dass es Elfen gibt.«
»Sie haben gesagt, dass die Eisbären …«
»Grams? Können wir das heute Abend mal lassen?« Ashlyn ließ sich aufs Sofa fallen und sank mit einem Gefühl der Behaglichkeit in die Kissen, das sie im Loft nie empfand. Ganz gleich, wie sehr Keenan sich auch bemühte, es war kein Zuhause. Das Loft war nicht der Ort, wo sie sich ganz bei sich fühlte. Hier war dieser Ort.
Grams stellte den Fernseher aus. »Was ist passiert?«
»Nichts. Es ist bloß … Keenan … wir hatten eine Diskussion –« Ashlyn war sich nicht sicher, wie sie es ausdrücken sollte. Sie und Grams sprachen über Beziehungen, Sex, Drogen, Alkohol, eigentlich über alles, aber normalerweise eher auf einer abstrakten Ebene. Nicht im Detail. »Ich weiß auch nicht. Danach war ich mit Carla im Shooters. Das hat mir geholfen, aber morgen oder übermorgen oder nächstes Jahr – was mache dich denn, wenn ich niemanden mehr habe außer ihn?«
»Setzt er dich schon unter Druck?« Grams
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