Sommerlicht Bd. 3 Für alle Ewigkeit
setzte hinzu: »Gib mir einen Grund, ihren Wünschen nachzugeben.«
Irial war weniger gefährlich für uns. Das war Nialls empfindliche Stelle – Irial. Hör auf, ihn wie einen Freund zu behandeln, wie einen Sterblichen . Ihre Gedanken verhedderten sich, während sie sich fragte, wie sie sich nun verhalten sollte. So vieles, was sie über Elfen gelernt hatte, war inzwischen hinfällig geworden. Sie hatte es schon lange aufgegeben, die Regeln zu befolgen, die Grams ihr beigebracht hatte. Aber eine davon war noch immer hilfreich: Wenn ich weglaufe, verfolgen sie mich.
Sie machte einen Schritt auf Niall zu. »Der letzte König der Finsternis hat auch geglaubt, er könnte mich in Versuchung führen, hier, am gleichen Ort …«
Niall lachte und sah für einen kurzen Moment beinahe fröhlich aus, doch die Freude war ebenso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen war. »Wenn er es wirklich versucht hätte, hätte er es auch geschafft. Er hat dich nicht gewollt, Ash … du warst nur eine kleine Ablenkung, ein schneller Flirt. So ist Irial nun mal.«
»Keenan sagt, du bist wie Irial – ein Gancanagh . Vorher hatte er mir das nicht erklärt«, gestand sie. Sie war nicht gerade stolz auf die Intrigen ihres Königs oder darauf, wozu sie geführt hatten, aber sie wollte aufrichtig sein. »Bist du es immer noch? Machst du süchtig?«
»Warum? Möchtest du eine Kostprobe?«
Es lauerte etwas Ungezähmtes in ihm. Sie sah es unter der dünnen Schicht von Anstand, die noch den alten Niall erkennen ließ. Sie wollte diese Oberfläche nicht aufbrechen. Ihr Verstand riet ihr, Abstand zu halten, doch sie hörte nicht darauf. »Wir sollten wirklich anfangen, dich so zu behandeln wie Irial …«
»Nein« – Niall legte eine Hand auf ihre Schulter und schob sie nach hinten, bis sie zwischen der Wand aus Schatten und ihm eingeklemmt war – »du solltest bedenken, dass Irial nicht die Absicht hatte, Keenan zu schaden. Ich dagegen schon. Ich brauche nur einen Vorwand. Gibst du mir einen, Ash?«
Die Wand hinter ihrem Körper vermittelte ihr überwältigende Gefühle. Gefährliche Versuchungen flüsterten auf ihrer Haut und es kamen ihr Dinge in den Sinn, die sie lieber nicht gedacht hätte. Keenan unter meinen Händen. Er soll mir gehören. Ich will nicht nur eine Kostprobe, sondern in ihm ertrinken . Es war zwar kein Dunkelelf, den sie besitzen wollte, aber es war die Energie des Hofs der Finsternis, die ihre Gedanken in Richtungen lenkte, in die sie niemals vordringen sollten. Die Verführungen dieses Hofs ließen sie an den Elfen denken, den sie wollte, und nicht an den Sterblichen, den sie liebte. Ihr Herz schlug zu schnell in ihrer Brust, während die Schatten ihre Ängste und ihre Lust hervorzerrten.
»Ich will –«, sie biss sich auf die Lippe, um es nicht auszusprechen, um nicht zuzugeben, dass sie in diesem Moment an Keenan dachte.
»Ich weiß, was du willst, Ash. Ich will ihn verletzen.« Niall sah durch die Schatten zu Keenan hin. »Ich will, dass er einen Angriff rechtfertigt, indem er die Grenzen überschreitet.«
»Wieso rechtfertigt?« Sie versuchte, sich von den Schatten wegzudrücken, die sie umschlossen.
»Vor mir selbst. Vor Donia. Vor Seth.«
»Aber …«
»Mein Hof will es. Das ist der Hauptgrund, warum sie mich begeistert als ihren König annehmen … Und es ist der Grund, warum Bananach, wann immer sie kann, in meinen Gemächern auftaucht. Sie kommt blutverschmiert zu mir, hungrig nach jedem bisschen Wut, das in mir ist.« Niall sah Seth an, der sich vergeblich gegen die Barriere aus Schatten stemmte. »Seth will dich. Er liebt dich. Beschütze ihn vor Keenan … oder ich werde mehr als genug Gründe haben, die Perversionen und die Grausamkeit meines Hofs zu entfesseln.«
Sie blickte durch die Barriere. Seth sagte etwas, aber die rauchartige Wand verschluckte seine Worte, nicht jedoch seinen Gesichtsausdruck. Er war außer sich vor Wut. Ihr sonst so ruhiger Seth war alles andere als friedlich.
»Wenn Seth es mir vergeben würde, Ash, dann würde ich dich benutzen, um deinen König zu provozieren.« Er umfasste ihre Schultern. »Du hast Leslie mit deiner Dummheit viel Leid zugefügt. Und mir auch.«
Er drückte sie gegen die Schattenwand, bis sie glaubte, dass ihr Herz zu schlagen aufhörte. Furcht stieg in ihr auf, glitt in die hintertesten Winkel ihrer Persönlichkeit und ließ all ihre Ängste und Zweifel hervortreten. Allein. Nicht gut genug. Schwach. Dumm. Ich zerstöre Seth.
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