Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
mir doch! Ungebunden, aber mit genügend guten Beziehungen ausgestattet, um hier herumspazieren zu können?! Sie bewegte ihre zweite Hand vorsichtig in die Nähe des Messers hinter ihrem Rücken. Nicht, dass das viel helfen wird . Wenn sie seine Kraft richtig einschätzte – und die musste sehr groß sein, wenn er so unbekümmert und selbstsicher durch Huntsdale lief – war sie nicht stark genug, um es mit ihm aufnehmen zu können. Sie blickte ihm fest in die Augen. »Wer bist du?«
»Devlin. Sorchas Ordnungshüter, aber …«
»Verdammt.« Sie machte einen Schritt zurück. »Ich gehe nicht in ihre Welt. Ich gehöre zu Ir… zu Nialls Hof der Finsternis. Ich stehe unter seinem Schutz. Du kannst mich nicht mitnehmen.«
In ihr stieg Panik auf wie ein Schwarm geflügelter Wesen, der aus viel zu engen Räumen zu entkommen sucht. Sie wich weiter zurück, machte viele kleine Schritte nach hinten, bis ihr ein Schwall schwefliger Atemluft den Rücken wärmte. Ihr Ross hatte erneut seine Gestalt geändert.
Ich hab’s dir ja gesagt, grummelte es.
Sie warf einen Blick nach hinten. Es war kein Pferd, sondern ein reptilienartiges Wesen, das dort stand, wo vorher der Geländewagen geparkt hatte. Grüne Schuppen bedeckten einen massigen Körper. Klauen von der Länge ihrer Unterarme gruben sich neben ihr in den Boden. Gefiederte Schwingen ruhten zusammengeklappt auf seinem Rücken, um die Gebäude, die die schmale Straße säumten, nicht zu berühren. Es öffnete die Kiefer und ließ eine dünne schwarze Zunge herausschnellen.
Als es seinen großen Kopf senkte, dachte Ani einen Moment lang, dass es sie verschlucken wollte.
Sei nicht albern. Ich würde dich doch nicht fressen . Es hielt inne und hinterließ eine seltsame Stille in ihrem Kopf, die ihr sagte, dass es seinen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht hatte. Nein, nicht mal, wenn ich am Verhungern wäre. Merkwürdig. Ich habe vor dir noch nie einen Reiter gehabt … Könnte sein, dass ich dich eher rette als mich. Hm. Das ist …
»Können wir später darüber sprechen?« Sie schaute in ein riesiges, rollendes Auge.
Natürlich.
In dem Moment zog der Elf sie an sich. Er legte einen Arm um ihre Taille und hielt sie mit dem anderen von der Hüfte bis zur Kehle fest. »Ich könnte es töten«, flüsterte er, »oder dich. Das ist es, was ich tue, Ani. Ich töte die, die außerhalb der Ordnung stehen.«
Sie zerrte mit ihrer freien Hand an seinem Handgelenk und versuchte gleichzeitig, ihren Kopf gegen seinen zu knallen.
Er legte seine Hand fester um ihren Hals. »Hör auf damit.«
»Ich bin eine von Gabriels Hundselfen«, krächzte sie. »Ich bin ein Mitglied des Hofs der Finsternis, nicht einfach ein dahergelaufener Halbling. Es wird Folgen haben, wenn du …«
»Sag diesem Viech, dass es zurückweichen soll, oder ich habe keine andere Wahl. Ich will das nicht. Und du auch nicht.« Devlin drückte zu. »Sag ihm, dass es verschwinden soll, dann kann ich dich loslassen.«
Ani sah zu ihrem Ross hoch. Seine Augen rollten, als tobten schwere Feuerstürme darin. Die Klauen hatten tiefe Furchen in den Asphalt gezogen.
Ich werde ihn töten, wenn dir etwas zustößt. Es ließ erneut seine Zunge herausschnellen . Werde meine Klauen in seine Eingeweide schlagen und …
»Mir passiert nichts«, sagte sie weitaus zuversichtlicher, als sie eigentlich war – aber in dem Moment, als sie es aussprach, fühlte es sich tatsächlich wahr an. Wäre es eine Lüge gewesen, hätte sie es nicht so einfach aussprechen können. »Er wird mich loslassen.«
Das tat er nicht. Aber der Griff um ihre Kehle lockerte sich, bis sie den Druck seiner Fingerspitzen kaum noch spürte. »Ich lasse dich los, wenn …«
Sie spannte ihren Körper an.
»… du nicht vor mir wegläufst.« Seine Worte waren ein warmer Atemhauch an ihrer Wange. »Ich habe heute wirklich nicht die Absicht, dich zu töten.«
Sie rührte sich nicht. »Oder mich zu Sorcha zu bringen?«
Er lachte – ein herrliches Geräusch, voller Schatten wie jedes Lachen am Hof der Finsternis selbst. »Nein, das bestimmt nicht.«
Dann ließ er locker und gestattete ihr, sich ihm zu entziehen.
Sobald sie mehrere Schritte von ihm entfernt war, reichte er ihr die Hand, wie um ihre zu schütteln. »Wie gesagt, ich bin Devlin.«
Sie starrte erst auf seine ausgestreckte Hand, dann in sein Gesicht. Ihr Herzschlag dröhnte im Takt mit den Missklängen aus Angst und Wut. »Erwartest du etwa, dass ich ›Nett, dich kennenzulernen‹
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