Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
»Mehr als alles andere auf der Welt. Das weißt du doch, oder?«
»Ich dich auch.« Tish runzelte die Stirn. »Also … was hast du angestellt?«
»Bis jetzt noch nichts.« Ani stellte die Stereoanlage an. Sofort dröhnte Musik aus den Lautsprechern. Sie spürte die dumpfen Bässe auf ihrer Haut.
Zu Hause.
Rabbit würde kapieren, dass sie die Musik absichtlich laut gedreht hatten. Ihr Bruder mochte ja nicht so sehr Hundselfe sein wie sie, aber er hatte ein außergewöhnlich feines Gehör. Sie selbst schien fast alle hervorstechenden Merkmale ihres Vaters mitbekommen zu haben. Rabbit dagegen nur einige – Langlebigkeit, Stärke, feines Gehör – und Tish … Tishs Eigenschaften waren eher »Hundselfe light«. So hatten sie es genannt, als sie zusammen aufgewachsen waren: ein bisschen stärker, ein bisschen schneller, ein bisschen zu konfliktfreudig.
Sie setzten sich auf Tishs Bett. Anis eigenes Bett stand noch so da, wie sie es beim letzten Besuch hinterlassen hatte – wie der Hafen, den sie brauchte. Aber sie konnte nicht bleiben. Nicht hier, wo sich ihre überwiegend sterbliche Schwester aufhielt.
»Was ist los?« Tish schlug die Beine übereinander und wartete.
»Ich bin in einer verzwickten Situation«, begann Ani.
Sie erklärte Tish, so schnell sie konnte, die Sache mit Bananach. Dann sagte sie: »Erzähl es ihnen. Sag Rab und Iri alles .«
»Ani?« Tish griff nach ihrer Hand, doch Ani war schon aufgesprungen und wich zurück.
»Ich kann nicht hierbleiben.« Ani drehte die Musik auf. »Wenn sie nach mir sucht …«
»Nein. Du darfst nicht gehen«, flüsterte Tish. »Wenn sie dir auflauert … Komm schon, Ani. Versuch dich zu konzentrieren. Das hilft.«
Ani starrte die verschlossene Tür an. »Wenn sie kommt, wird sie dir und Rabbit wehtun. Ich hätte gar nicht herkommen sollen. Ich muss gehen, bevor sie kommt. Das ist sicherer.«
»Aber Iri weiß doch jetzt Bescheid. Er wird die Sache schon richten. Wir können doch alle bei ihm wohnen.«
Tish stand auf, nahm Anis Hände und hielt sie so fest, wie sie es getan hatte, wenn Ani in ihrer Kindheit außer Kontrolle geraten war. »Komm schon. Bleib einfach hier.«
»Ich kann nicht, Tish. Du bleibst bei Iri, okay? Bleib bei Rabbit. Bleib bei Gabr… Dad .« Ani spürte am ganzen Körper ein Kribbeln. Sie musste rennen! Bei dem Gedanken zu bleiben, nicht wegzukommen, hatte sie das Gefühl zu ersticken. Irial würde für Tish und Rabbit sorgen. Sie wären sicherer, wenn sie nicht da war. Sie konnte nicht in diesem Haus eingesperrt sein oder sie in Gefahr bringen.
»Ich muss mal für eine Weile raus«, murmelte sie.
»Um wo hinzugehen?« Tish hielt immer noch eine von Anis Händen fest.
»Weiß ich noch nicht.« Ani machte ihre Hand los und öffnete den Schrank. Sie nahm eine Sporttasche heraus und stopfte ein paar Sachen hinein.
Tish half ihr schweigend und signalisierte ihr so ihr Einverständnis. Sie hielt ihr eine Bürste hin. In ihren Augen standen Tränen. »Pass auf dich auf, NiNi.«
Ani umarmte sie und kämpfte ebenfalls mit den Tränen, als sie ihren Spitznamen hörte. »Ich rufe dich an.«
»Rab hat dein Telefon.« Tish griff in ihre Tasche und zog ihr grellrosa Handy heraus. »Nimm das. Ich nehme deins, wenn er fertig mit Iri telefoniert hat.«
Ani steckte schweigend Tishs Handy in ihre vordere Hosentasche. Sie hatten schon häufig genug getauscht, um zu wissen, dass sie alle ihre Kontakte auch im Handy der jeweils anderen abgespeichert hatten. »Was ist mit Glenn? Ich hab seine Nummer nicht in meinem Telefon.«
Tish grinste. »Dann werde ich wohl in den Club gehen müssen.«
»Nein!« Ani erschauderte bei dem Gedanken, dass ihre Schwester allein das Haus verließ. Sie zog das Telefon heraus und ging die Kontakte durch. »Schreib sie dir auf. Er kann dich hier im Laden treffen. Geh nirgendwohin, ohne dass Iri dir die Erlaubnis gibt. Okay?«
Tish kritzelte sich die Nummer auf die Hand und zog dann die obere Schublade ihres Nachtschränkchens auf, das zwischen den Betten stand. Unter BHs und Strümpfen lag ein Sgian Dubh, ein Strumpfmesser, wie das, welches Ani bereits am Fußgelenk trug.
Tish hielt ihr das Messer mit dem schwarzen Griff sowie ein schwarzes Beinholster hin. »Nimm mein Glücksmesser mit.«
»Bist du sicher?« Ani klopfte auf ihr Bein. »Ich hab doch schon das andere.«
»Nimm meins auch noch. Eine Frau kann nie vorsichtig genug sein … oder bewaffnet genug«, witzelte Tish.
»Auch wieder wahr.« Ani schob
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