Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
ihr Hosenbein hoch und schnallte sich das Holster um. Sie mochte Dunkelelfe genug sein, um ein traditionelles Messer zu tragen, aber sie stand überhaupt nicht darauf, es sich in den Strumpf oder Stiefel zu stecken. Tradition war etwas Wichtiges, aber sie ein wenig abzuwandeln war auch gut. Also schob sie das Messer ins Holster.
Tish öffnete den Schrank. »Heilige Schwerter?«
Als sie in der Grundschule waren, hatte Irial sie auf eine Reihe von Ausflügen zu verschiedenen Andachtshäusern mitgenommen. In jedem von ihnen segnete ein Mann oder eine Frau eine Handvoll Schwerter. Am Ende hatten die Mädchen eine ganze Kiste voller scharfer Waffen gehabt, die von Vertretern unterschiedlicher wichtiger Glaubensrichtungen der Sterblichen geweiht worden waren. Wie viele der Geschenke, die Irial ihnen gemacht hatte, waren die »heiligen Schwerter« von praktischem Nutzen. Man kann ja nie wissen , hatte Irial gesagt, und wir sind schließlich nicht die Einzigen, die nachts unterwegs sind . Ani hasste es, den gesegneten Stahl bei sich zu tragen, weil er viele Elfen abschreckte, zu denen sie gern größere Nähe hergestellt hätte. Doch sie wollte kein Risiko eingehen. Im Moment lieber nicht .
Sie zog ihr Shirt aus, schnallte sich ein vertikales Schulterholster um, rückte es zurecht und steckte dann eins der verbliebenen Schwerter – ein zwanzig Zentimeter langes, teils gezacktes Tant ō -Messer – in die Scheide an der Seite ihres Körpers.
»Halt mal still.« Tish zog die Holstergurte straff. »Nimm sie alle mit. Ich werde Iri bitten, uns neue zu besorgen.«
Ani nickte. Dann nahm sie ein Faustmesser, in eine pfeffersprayartige Dose gefülltes Metallpulver und einen zusammenfaltbaren Stock aus schwarzem Stahl und steckte alles zu den Kleidern in ihrer Tasche. Kein noch so großes Waffenarsenal würde ihr die Kraft verleihen, Bananach zu besiegen, aber sich gut auszurüsten konnte nicht schaden, wenn man eine Autoreise plante. Und Bananach ist ja nicht die Einzige, mit der ich Ärger bekommen kann . Der Gedanke an feindlich gesinnte ungebundene Elfen, Ly Ergs oder daran, allein, ohne den Schutz des Hofs der Finsternis zu sein, ließ Ani innehalten – doch die Angst, ihre Familie zu gefährden, indem sie in der Stadt blieb, wog schwerer als jeder Zweifel. Sie griff nach einer mit Sprengstoff geladenen Harpune.
Tish spielte geistesabwesend mit ihren Händen. Sie wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser, wollte Ani aber nicht noch mehr Stress bereiten. Das tat sie nie. Ihre Gefühle sagten alles, was ihre Worte verschwiegen. Sie hatte Angst – genauso wie Ani.
Und es ist nicht nötig, dass wir darüber reden.
Tishs Lächeln war der Beweis dafür, dass sie die Unmöglichkeit, über solche Dinge zu sprechen, verstand. Ihre Worte waren noch deutlicher: »Dad wird ganz schön wütend sein, wenn er dich kriegt.«
»Wer sagt, dass er mich kriegt? Er ist jetzt nicht mehr der Einzige, der ein Ross besitzt.« Die Möglichkeit, dass Gabriel von ihrem Ross erfuhr, war das Einzige, was sie in diesem Moment glücklich stimmte. Er wird stolz auf mich sein . Sie drehte sich um und flüsterte: »Ich hab dich lieb.«
Tish presste sie, so fest sie konnte, an sich. »Pass auf dich auf, bitte, ja?«
»Und du auf dich.«
Tish drückte noch ein bisschen fester zu, dann trat sie einen Schritt zurück.
Sie brachen gemeinsam das Schloss auf und hängten das Fenster aus.
Mit ihrer Tasche über der Schulter kletterte Ani auf die Straße hinaus. Tish warf ihr die Harpune zu und verschloss das Fenster dann vorsichtig wieder. Die Vorhänge fielen vor der Scheibe herab und Tish war weg.
Kaum hatten ihre Füße den Gehsteig berührt, war Ani auch schon einen halben Block weit gelaufen. Es ist das Beste so . Sie wusste es – vor allem weil sie schon wieder verfolgt wurde, noch bevor sie einen Block vom Tattoostudio entfernt war.
Ohne ihr Tempo zu verändern, lief sie zu einer Seitenstraße, die zu der Stelle führte, wo der Barracuda geparkt war. Sie bewegte sich ruhig auf das Ross zu.
Kannst du mich hören? Sie dachte an den Wagen, daran, wie aufregend es gewesen war, damit zu fahren, wie warm die Motorhaube sich angefühlt hatte, als sie weggegangen war. Bist du wach?
Ja, aber es wäre leichter, wenn ich einen Namen hätte, Ani. Seine Stimme hatte dasselbe Vibrato wie sein Motor. Ich habe darüber nachgedacht. Mir fehlt ein Name. Ein Ross mit einem Reiter braucht einen Namen, knurrte es in ihrem Kopf. Es ist wichtig, dass du mir einen
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