Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
ansonsten blieb ihre aggressive Haltung unverändert.
»Komm.« Er drehte sich um und trat in die Helligkeit der Straße. Er bot ihr weder seinen Arm an, noch wartete er ab, ob sie ihm folgte.
Devlin unterdrückte die vielen ungeordneten Gefühle, die er empfand, versteckte sie und setzte eine stoische Miene auf, so wie er es vor langer Zeit gelernt hatte. Sein Bedürfnis, sie zu beschützen, war albern. Aber er wollte unbedingt eine Lösung, die nicht Anis Tod einschloss.
Vor allem nicht durch meine Hand.
Er folgte dem nicht besonders planvoll angelegten Netz der Straßen durch die Stadt, bis er das Industriegebiet mit seinen Lagerhallen erreichte. Die wenigen Elfen, die ihn sahen, würden Niall und Irial seine Anwesenheit zweifellos melden. Die meisten Elfen wären nicht so dumm, diese Nachricht Gabriel zu überbringen, sondern überließen eine solche Angelegenheit lieber ihrem aktuellen oder ehemaligen König. Hundselfen waren leicht in Rage zu bringen und beruhigten sich nur langsam wieder. Einzig Elfen, die es darauf anlegten, verletzt zu werden, würden Gabriel von Devlins Kontakt zu Ani unterrichten. Als Ordnungshüter gegensätzlicher Höfe vertrugen sich Gabriel und Devlin nicht besonders gut.
An einer Kreuzung blieb Devlin stehen. Autos von Sterblichen rasten vorbei. Er wunderte sich, was sie wohl daran reizte, in engen Käfigen aus Metall herumzufahren. Vieles in der Welt der Sterblichen wirkte unnatürlich.
Anders als in der Elfenwelt.
Wie schon seit Jahrhunderten fragte er sich, ob er sich an das Leben in der Welt der Sterblichen gewöhnen könnte. Bananach hatte es getan. Viele andere Elfen auch, nachdem der König der Finsternis sie vor langer Zeit aus dem Elfenreich gerissen hatte. Manche waren krank geworden, andere waren gestorben oder hatten den Verstand verloren. Und trotzdem gab es wieder andere, denen es hier prächtig ging. Devlin seinerseits bereitete diese Welt schon allein durch ihr Tempo Unbehagen.
Die Sinne wurden ständig mit Informationen bombardiert: Hupen, Maschinen, Neonlichter, blendende Signale und Hinweistafeln, Rauch und Ausdünstungen von Sterblichen. All das setzte ihn unter Stress. Und wenn es das nicht tat, dann brachten ihn die merkwürdigen visuellen Eindrücke und das Wetter aus dem Gleichgewicht. Es war eine seltsame Welt, in der nichts als Eis oder Wasser aus den Wolken herabfiel, wo das Essen jedes Mal gleich schmeckte, das Klima je nach Ort und Stellung des Planeten unterschiedlich war. Die Veränderlichkeit des Elfenreichs erschien ihm sinnvoller.
Er stockte. Ein Schaufenster gegenüber von ihnen lag voller grellbunter Schuhe. Autos rasten die Straße entlang. Stimmen prallten aufeinander, Sirenen heulten.
»Was siehst du dir an?« Ani war jetzt neben ihm. Aus der Nähe war sie viel kleiner – oder es wirkte nur so, weil sie keine Aggressivität mehr verströmte. Sie reichte ihm bis zur Schulter; die pinkfarbenen Spitzen ihrer gefärbten Haare strichen über seinen Oberarm, als sie ihren Kopf drehte, um die Straße hinunterzusehen.
Eine Frau, die dünner war, als gesund sein konnte, stand auf der anderen Seite des Fensters und betrachtete die Schuhe; ihr Gesicht wurde von den grellen Lichtern im Ladeninneren angeleuchtet. Sie schaute umher, aber ihr Blick wanderte nur flüchtig über sie hinweg, ohne auf ihnen zu verharren.
Devlin wandte seine Aufmerksamkeit Ani zu. Wie Rae hatte sie keine Angst vor ihm. Selbst seine Königin fand ihn furchterregend: Das war die Ordnung der Dinge. Elfen sollten sich vor ihm ängstigen. Seine Aufgabe war der Tod im Elfenreich – oder im Auftrag des Elfenreichs. Ani schien das leichtsinnigerweise nicht zu beeindrucken. Sobald sie begriffen hatte, dass keine unmittelbar tödliche Gefahr bestand, war sie wieder ziemlich frech geworden. Ist das der Grund, warum Rae wollte, dass ich Ani treffe? Wusste sie es? Das konnte nicht sein. Rae konnte unmöglich wissen, dass Ani keine Angst vor ihm haben würde. Aber solche Furchtlosigkeit in seiner Nähe war selten. Er genoss es.
»Hallo?« Sie stupste ihn an. »Wo guckst du hin?«
»Wir müssen hier die Straße überqueren.« Er war sich nicht sicher, wie schnell sie sich fortbewegen konnte, aber er wusste, dass Sterbliche langsamer waren. Sie war zwar nicht richtig sterblich, und ihr Vater gehörte zu den schnellsten Elfen des ganzen Reichs, doch der Gedanke, sie könnte von dem Metall, das an ihnen vorbeiraste, zerquetscht werden, beunruhigte ihn.
Sie ist wichtig.
Er umfasste
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