Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
Finsternis sog ihre Emotionen ein und versuchte diese merkwürdige Leere zu füllen, die sich in seinem Innern aufgetan hatte. Er dachte darüber nach, sie zu fragen, wann der Hof angegriffen worden war, aber wenn er die Lücken in seiner Erinnerung offenbarte, half das dem Hof auch nicht weiter.
Beschütze sie, forderte eine Stimme.
Niall nickte. Er verbarg seine Zweifel vorsichtshalber, auch wenn er nicht sicher war, ob das gelang. Er blinzelte, und als er aufblickte, war er in einem anderen Zimmer. Dort wartete eine neue Gruppe zerschundener Elfen. Zwei Hunde schoben sich vor sie.
»Niall?« Gabriel kam näher. »Soll ich sie holen?«
»Sie?«
»Leslie hat ein Recht, es zu erfahren. Er würde wollen , dass sie es weiß, aber ich kann nicht alles selbst machen.« Gabriel streckte seine Arme aus. Sie waren so sehr mit Tinte bedeckt, dass die einzelnen Befehle fast unleserlich waren. Worte überlagerten sich, Oghamschriftzeichen schoben sich ineinander und verschwammen.
Niall erinnerte sich nicht, ihm so viele Befehle gegeben zu haben.
»Du kannst nicht alles selbst machen«, wiederholte Niall. »Dinge … andere Dinge … Es gibt noch andere Dinge zu tun.«
»Ja. Eine kluge Entscheidung, mein König. Ich schicke einen anderen Hund hin.« Niall spürte Gabriels Erleichterung. »Dann kann ich bei dir und Iri bleiben.«
»Irial … Ist er hier?« Niall schaute sich um. Irgendetwas daran stimmte nicht; irgendetwas stimmte nicht mit Irial.
Gabriel trat erneut in Nialls Blickfeld und blockierte so seine Sicht auf die anderen Elfen, die jedes Mal zusammenzuckten, wenn Niall zu ihnen hinsah. »Wahrscheinlich sollte ich gleich mehrere Elfen zu Leslie schicken, damit sie in Sicherheit ist.«
Nialls Blick schnellte zu Gabriel. »Leslie … ja. Wir müssen Leslie beschützen. Es lauert Gefahr. Bananach … sie … Bananach …«
Die Bilder in Nialls Kopf prallten aufeinander. Bananach mit einem Schwert-Messer-Krallen-Schnabel-Messer. Der König der Finsternis blinzelte und wiederholte: »Leslie braucht Schutz.«
Aber Gabriel war nicht da. Niemand war da. Er stand in einem Zimmer voll Rauch und Schatten. Wände aus Dunkelheit umgaben ihn, aber der König der Finsternis erinnerte sich nicht weshalb. Er ging durch sie hindurch, durchschritt die Barriere aus Dunkelheit und wanderte durchs Haus.
Ein stechender Schmerz ließ ihn nach unten schauen und er begriff, dass er etwas verloren hatte. Es war irgendwo im Haus, aber als Niall weiterging, konnte er sich nicht entsinnen, was es war oder warum er es brauchte. Das Haus befand sich in einem Zustand der Verwüstung. Wie soll ich hier denn irgendetwas finden? Er blickte sich um und sah eine Elfe, die an der Wand zu kleben schien.
»Habt ihr die Türen verriegelt?«
»Ja, mein König.« Die Elfe schluckte laut. »Und die Fenster.«
»Gut.« Niall nickte. »Sie kommt hier nicht rein. Sagt den anderen, dass sie drinnenbleiben sollen. Ich kann euch nicht beschützen, wenn ihr … Irgendjemand sollte Leslie Bescheid sagen. Wo ist Gabriel? Meine Befehle … Ich habe Befehle für Gabriel.«
Siebzehn
Keenan öffnete die Tür und sah sie an, nur sie. Seine Königin sah ebenso königlich aus wie alle anderen Herrscher, die er bislang gesehen hatte. Ihr Kinn hob sich und ihr Blick ruhte auf ihm – nicht freundlich, sondern prüfend. In ihren früher schwarzblauen Haaren waren sonnenhelle Strähnen, als hätte sie am Strand gelebt, und in ihren Augen sah er einen tobenden Wirbelsturm. Sie trug nach wie vor ganz normale Kleidung – Jeans und ein einfaches Shirt –, so wie sie es als Sterbliche getan hatte. Aber die Art, wie sie sie trug, machte sie zu Kleidung einer königlichen Person. Emotionen tanzten wie Sonnenfunken über ihre Haut. Die winzigen Lichtexplosionen ließen sie flirren wie die Sonne selbst.
Sie erhob sich nicht, um ihn zu begrüßen. Stattdessen saß sie in dem Arbeitszimmer, das einmal sein Rückzugsort gewesen war, zu Gericht. Es war jetzt ihrs, wie auch sonst fast alles: sein Hof, seine Berater, die Bemühungen darum, die Schwächen des Hofes auszugleichen, die Aufgabe, eine Balance zu finden – dies alles gehörte der Sommerkönigin im gleichen Maß wie ihm.
Im Flur hinter ihm seufzten einige Sommermädchen, andere fingen zu tanzen an. Keenan lächelte ihnen kurz zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Sommerkönigin zuwandte. Anders als seine tanzenden Sommermädchen lächelte die Königin nicht.
Nicht im
Weitere Kostenlose Bücher