Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
Mein König.« Die Distelelfe legte den Kopf zurück. »Ich habe nicht verstanden, wie ich mich fühlen sollte angesichts des Verlustes unseres letzten Königs. Jetzt verstehe ich es besser.«
»Lass mich dir hel…«
»Nein«, unterbrach die Elfe. »Das ist Messing. Kein Eisen.«
Seth bekam einen Moment lang Angst. Würde Niall mich auch angreifen? Er betrachtete das Werk der Zerstörung ringsum. Es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.
Auf seinem Gang durchs Haus stieß er immer wieder auf blutende Elfen. Ein Ly Erg baumelte von einem Kronleuchter. Seine Augen waren geschlossen, doch er schien noch zu atmen.
Mehrere Hundselfen kamen hinter Seth her. Eine, Elaina, fragte leise: »Bist du sicher, dass du da allein reingehen willst?«
»Nein«, gestand Seth, »aber ich werde es trotzdem tun.«
»Der König ist verzweifelt. Wir könnten zuerst reingehen, damit er jemanden hat, an dem er sich abreagieren kann«, schlug die Hundselfe vor.
Seth schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ab hier gehe ich besser allein weiter.«
Elainas Miene ließ kaum einen Zweifel daran, dass sie ihn für einen Dummkopf hielt.
Vielleicht hat sie Recht.
»Wird schon gut gehen«, versicherte er ihr. »Er ist schließlich mein Bruder.«
Sie machte ein finsteres Gesicht, hob aber resigniert die Hände.
Niemand im Haus schien sich zu rühren. Die Elfen, an denen Seth vorbeigekommen war, waren entweder verletzt, nicht mehr bei Bewusstsein oder verhielten sich ruhig, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Viele waren halb unter dem restlos zertrümmerten Mobiliar begraben.
Seth folgte dem Lärm zerspringenden Glases und kam durch Zimmer, die er nie zuvor gesehen hatte, und durch mehr Flure, als es zu den Dimensionen des Gebäudes zu passen schien. Wie Sorchas Palast im Elfenreich. In einem Zimmer am Ende eines dieser Flure stand der zerschundene, blutende König der Finsternis. Überall um ihn herum fügten Schattenfiguren – dieselben scheinbar immateriellen Wesen ohne feste Gestalt, die Seth in Anis Haus gesehen hatte – all das wieder zusammen, was von den Gegenständen in diesem Zimmer übrig war, reichten es an Niall weiter und sahen zu, wie er es aufs Neue zerschlug.
»Niall«, sagte Seth leise.
Niall hielt einen Moment inne. Er schaute Seth an, ohne ihn zu erkennen, dann blickte er wieder auf die Karaffe aus geschliffenem grünem Glas in seiner Hand.
»Niall«, wiederholte Seth etwas lauter. »Ich bin es. Ich bin gekommen, um dir zu helfen.«
»Er ist tot. Irial. Ist. Tot. « Niall ließ die Karaffe fallen und ging weg.
Nach ein paar Schritten schlug er mit der Faust gegen die Wand.
Seth packte ihn und zog ihn zurück. »Hör auf.«
Niall schaute Seth an. »Sie hat ihn umgebracht.«
»Ich weiß.« Seth hielt seinen Freund am Arm fest. »Ich war dabei, als sie ihn niedergestochen hat. Erinnerst du dich?«
Der König der Finsternis nickte. »Ich habe versucht, es zu verhindern. Heiler … Habe versucht … Habe versagt … Und ich habe mal geglaubt, ich wollte seinen Tod. Ich habe geglaubt …« Nialls Worte erstarben, während er an Seth vorbei auf das Chaos blickte. »War ich das?«
»Ich glaube, ja.«
»Ich erinnere mich nicht …« Niall führte die Hand zum Gesicht, hielt aber mitten in der Bewegung inne. »Du machst, dass ich mich erinnere. Er ist gestorben. Daran erinnere ich mich. Irial ist tot.«
»Es gibt noch andere Dinge, an die du dich erinnern solltest. Du schaffst das schon, Bruder.« Seth wartete. Er durfte Niall nicht sagen, was er wusste. Das war die Einschränkung, wenn man ein Seher war. Oder vielmehr eine der Einschränkungen. Er durfte nicht versuchen, die Zukunft zu beeinflussen, indem er Niall sagte, was sich ereignen würde; Sorcha hatte ihm das ausführlich erklärt. Er tat wahrscheinlich ohnehin schon mehr, als er durfte.
»Ich habe es versucht; seit du gegangen bist, habe ich versucht …« Niall schüttelte den Kopf.
Seth führte ihn von der blutverschmierten Wand weg. »Es würde dir besser gehen, wenn du etwas schläfst.«
Niall machte sich los. »Ich kann nicht. «
»Doch, du kannst. Du musst schlafen.« Seth schob mit dem Fuß einen Haufen Scherben beiseite. Sie knirschten unter seinem Stiefel.
Niall blickte auf seine nackten Füße. »Ich blute.«
»Ja. Ich weiß«, sagte Seth.
»Ich würde dir nicht wehtun.«
»Bitte?«
Niall machte eine vage Geste. »Du hast Angst. Aber dir würde ich nie etwas tun.«
»Ich habe keine …«
»Ich kann sie
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