Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
und versuchte, sich einen Reim auf den provozierenden Ton in Nialls Stimme zu machen. Ist er komplett verrückt geworden? Vorsichtig antwortete er: »Ich weiß nicht, was im Augenblick in deinem Kopf vorgeht, aber es ist wichtig, dass du es herausfindest. Wenn du glaubst, dich widerwärtig benehmen zu müssen, um Irial ersetzen zu können, dann irrst du dich.«
Der König der Finsternis schnaubte, antwortete jedoch nicht.
»Denk darüber nach, was aus dir geworden ist«, drängte Keenan.
Aber Niall machte ihm nur ein Zeichen, zu gehen.
In fast dankbarem Schweigen trat der Sommerkönig den Heimweg an. Während er durch Huntsdale zu seinem Hof lief, dachte er über das bizarre Benehmen nach, das Niall an den Tag gelegt hatte. Sein ehemaliger Freund und Berater verhielt sich falsch . Zugegeben, der Hof der Finsternis war kein Ort, den Keenan verstand, aber er hatte geglaubt, er würde wenigstens Niall verstehen.
Ist es die Trauer? Oder das Königsamt an diesem Hof?
Wenn Keenan ein Urteil über Nialls Zurechnungsfähigkeit oder seine Neigung zur Grausamkeit hätte abgeben sollen, wäre seine Antwort jetzt anders ausgefallen als noch vor kurzem. Er hat sich verändert. Und nicht zum Besseren. Der Sommer mochte ja manchmal unberechenbar sein, aber die Sommerelfen waren weder verrückt noch grausam.
Bis jetzt.
Natürlich war Keenan sich nicht ganz sicher, ob das so bleiben würde, falls Niall Seth etwas antat. Die Sommerkönigin trug ihre Gefühle offen zur Schau – wie es sich für einen Sommerregenten gehörte –, und wenn dem Elfen, der ihr erster Geliebter gewesen war und der für sie sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, etwas zustieß, würde Ashlyn das nicht einfach so hinnehmen.
Ebenso wenig wie ich es hinnehmen würde, wenn Niall Donia in einen Käfig gesteckt hätte.
Der Gedanke an die beiläufigen Bemerkungen Nialls über Donia ließ Keenans Temperament wieder aufflammen, als er das Gebäude erreichte, in dem ihr Loft untergebracht war.
Tavish stand davor auf der Straße, vielleicht weil er gerade Wachdienst hatte, vielleicht weil er auf Keenans Rückkehr wartete. Dem Sommerkönig war es völlig egal, warum sein vertrauenswürdigster Freund dort stand. Wichtig war nur, dass Tavish überhaupt da war. Der alte Elf besaß die Weisheit und Gemütsruhe, die Keenan und seine Königin in diesem Moment dringend gebrauchen konnten.
Tavish schaute ihn an und Keenan bedeutete ihm, ihm zu folgen.
Keiner der beiden Elfen sagte ein Wort, während sie zu einem selten genutzten Gewächshaus am Rand des Parks gingen. Auf ein Zeichen von Tavish hin traten zwei Ebereschenmänner hinaus. Die Glastür schloss sich mit einem leisen Klicken.
»Ist er krank?«
»So kann man es auch nennen«, sagte Keenan und erzählte Tavish von seiner Unterhaltung mit Niall.
»Die Kriegselfe zu töten, ist keine leichte Aufgabe, selbst wenn es prinzipiell möglich ist.« Tavish schürzte die Lippen.
»Ash im Zaum zu halten, wird aber auch kein Kinderspiel.«
»Der Junge kann also in die Zukunft sehen?«, dachte Tavish laut nach. »Das könnte sehr nützlich sein. Er ist der Königin gegenüber loyal …«
»Und auch Sorcha gegenüber, und vermutlich auch Niall gegenüber noch, trotz dessen gegenwärtiger geistiger Umnachtung.« Keenan legte seine Hände um eine Orchidee und sah ihr beim Aufblühen zu. Die Pflanzen in der Nähe reckten sich ihm ebenfalls entgegen. Sie reagierten auf die Wärme, die von ihm ausging.
Tavish schaute zum Eingang hinter ihm. Dort standen die Wachen und schirmten sie vor Blicken von außen ab. »Bananach hat uns alle in eine Lage gebracht, die wir nicht ignorieren können. Wir sollten Niall beistehen.«
»Das habe ich auch vor. Dazu hätte er mir gar nicht erst drohen müssen.« Keenan machte ein finsteres Gesicht. »Er hat mir neun Jahrhunderte zur Seite gestanden. Selbst wenn er nicht gegen seine gegenwärtige Wut ankommt, ist er immer noch mein Freund.«
»Und der Winter? Sollten wir mit ihr reden?«
»Sie wird Niall unterstützen«, sagte Keenan. »Ganz unabhängig davon, was ich tue.«
»Bist du sicher?«
»Ja, bin ich.« Keenan seufzte. »Sie ist eine kluge Königin, Tavish. Sie hätte unseren Hof wunderbar geführt. Ich sehe es genau – so wie sie sich vor ihren Hof stellt. Für ein Lächeln von ihr würden sie bereitwillig alles und jeden abschlachten.«
»Und du?«
Keenan stutzte. »Ich würde meinem Hof wegen ihr keinen Schaden zufügen.«
Tavish sagte nichts, aber sein bedeutsames
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