Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
Metall hoch.
»Ich hab mit der anderen gerechnet«, sagte Niall.
Keenan versuchte, nicht zu dem Käfig über dem König der Finsternis hochzublicken. »Der anderen?«
»Der Königin … was auch immer.« Niall winkte ab. »Ich nehme an, du kommst wegen meines neuen Haustiers.«
»Deines … Haustiers ?«
Der König der Finsternis zeigte auf den Käfig. »Er macht mir nichts als Ärger, aber du kriegst ihn trotzdem nicht. Er schuldet mir was, und ich habe nicht vor, ihm seine Schulden zu erlassen.«
»Verstehe. Wer ist denn in dem Käfig?« Keenan konnte nicht hineinsehen. Er befand sich am Hof der Finsternis und weder Gefangene noch Käfige waren an diesem Hof etwas Außergewöhnliches.
Niall machte ein finsteres Gesicht. »Ich hatte nicht damit gerechnet, aber manche Tiere sind unberechenbar.«
»Wer befindet sich in diesem Käfig, Niall?«, wiederholte Keenan.
»Seth.«
»Du weißt, dass du ihn dadrin nicht festhalten kannst. Ich mag ihn zwar nicht, aber …«, Keenan zuckte mit den Schultern, »ich regiere meinen Hof nicht allein. Meine Königin wird das nicht akzeptieren.«
Einige Augenblicke lang verharrte Niall wie erstarrt, außer dass er regelmäßig seinen ekelerregenden Zigarettenrauch ein- und ausatmete. Dann nickte er. »Ich habe einen Vorschlag. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich ihn ihr unterbreiten könnte. Ich war nicht davon ausgegangen, dass du hierherkommen würdest.«
»Oh.«
»Mein Haustier kann in die Zukunft sehen. Wusstest du das schon?« Niall stand abrupt auf und ging zu einem Hebel im Fußboden. Die Glasscherben, die an dem getrockneten Blut an seinen Füßen klebten, wurden mit jedem Schritt weiter in seine Haut gedrückt, doch er schien gar keine Notiz davon zu nehmen.
»Deine Füße …«
»Wusstest du es?«, brüllte Niall.
»Ja«, gab Keenan zu.
»Also hat er mich in dem Punkt auch hintergangen.« Nialls Miene verfinsterte sich noch weiter und er schwieg einen Moment.
»Was hat er dir erzählt?« Niall betätigte den Hebel und der Käfig stürzte zu Boden. Dann trat Niall an ihn heran und umfasste mit beiden Händen die Gitterstäbe.
»Nichts, was deinen Hof betrifft«, antwortete Keenan.
Niall schaute über die Schulter zu Keenan und fragte: »Jetzt würdest du ihn gern an deinem Hof als Haustier halten, nicht wahr? Jetzt, wo er über eine solche Fähigkeit verfügt, könntest du über einige Dinge viel leichter hinwegsehen. Du würdest ihn sogar mit deiner Königin schlafen lassen im Austausch für die Macht, die er dir bieten würde.«
»Sie entscheidet selbst, mit wem sie schläft.«
»Aaah, deine Naivität war schon immer amüsant«, sagte der König der Finsternis.
Keenan wechselte einen flüchtigen Blick mit Seth; über dessen Mund klebte ein Streifen aus Schatten, der ihm das Sprechen unmöglich machte.
Niall drehte Keenan den Rücken zu und schritt zu seinem Thron. »Sag deiner Königin, dass sie ihn besuchen darf. Ich fürchte, sprechen kann er ausschließlich mit mir, aber ich werde zulassen, dass sie ungestört sein können … für eine Gegenleistung.«
»Die da wäre?«
»Deine Elfen werden tun, was ich verlange, wenn der Kampf ausbricht, den ich eher früher als später erwarte. Ich werde Bananach stoppen.« Niall schaute Seth an, der ihnen beiden etwas mit Gesten klarzumachen versuchte. »Was sagst du? Du findest, dass das ein brillanter Plan ist? Dass ihre Elfen geopfert werden, damit sie meine Arbeit erledigen?«
Seth schüttelte den Kopf. Seine Finger flogen wild durch die Luft, als wollten sie Worte übermitteln. Niall seufzte, und eine Sekunde später waren auch Seths Handgelenke mit schwarzen Bändern zusammengebunden.
»Du magst ihn doch«, sagte Keenan. »Er ist dein Freund. Seinetwegen hast du mich einst attackiert, und du hast ihm den Schutz deines Hofs angeboten. Also solltest du ihn auch beschützen.«
»Manchmal sind solche Gefühle nur ein Zeichen von Schwäche.« Niall spreizte seine Hände. »Manchmal aber auch ein nützliches Werkzeug. Schau uns an. Wir können deine Sorge um deine Königin und ihre Sorge um mein Haustier kombinieren und einen Weg finden, mein Problem zu lösen.«
»Das sieht dir aber nicht ähnlich. Hör dir doch mal selbst zu, Niall.«
»Manchmal muss ein König auch unangenehme Dinge tun, kleiner König. Das verstehst du doch sicher.«
Kleiner König?
Keenan trat vor. »Du warst mein Freund. Jahrhundertelang warst du wie ein Familienmitglied für mich. Sag mir, was hier vor sich
Weitere Kostenlose Bücher