Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
solltest du ihn benötigen.« Dann fügte sie mit bebender Stimme hinzu: »Du bist frei.«
Er stand auf und verließ schweigend den Park. Die Ebereschenleute knieten nieder, als er vorbeiging. Alle Sommermädchen machten gleichzeitig einen Knicks, und als sie sich wieder aufrichteten, wurden ihre Weinranken zu festen Tattoos. Da er nicht mehr ihr König war, waren sie auch nicht länger von ihm abhängig. Der Fluch, der sie an ihn gebunden hatte, war aufgehoben.
Sie sind frei.
Achtundzwanzig
Donia fühlte sich nach Evans Tod wie betäubt. Er hatte über sie gewacht, seit sie zur Elfe geworden war. Über Jahrzehnte war er ihr Wachmann und ihr Freund gewesen. Für manche waren Jahrzehnte nicht mehr als ein Lidschlag. Auch für ihn war es nur ein kurzer Moment. Für Donia jedoch war es ihr komplettes zweites Leben. Sie empfand Wut, Trauer, Kummer, aber sie deckte diese Gefühle mit dem Gewicht des Schnees und des Eises in sich zu. Ich darf nicht wehklagen, noch nicht.
Die Hundselfe Chela hatte Donia mit Evans Leichnam zu Hause abgesetzt und ihr dann das Versprechen abgerungen, die Linie der draußen stationierten Wachen und Hunde nicht zu überqueren. Nicht dass sie Bananach allein hätten aufhalten können.
Übrig sind also nur noch der trauernde König, die Königin, die erst ein Jahr Elfe ist, der Sommerkönig und ich.
Donia dachte an Beira, die letzte Winterkönigin, und verspürte einen unerwarteten Schmerz. Beira war in vielerlei Hinsicht teuflisch gewesen, doch auch stark, grausam und erfahren genug, um gegen Bananach zu kämpfen. Und sie ist tot. Donia seufzte. Beiras Tod hatte Leben gerettet – meins eingeschlossen –, aber er hatte die mächtigste Figur unter den Regenten diesseits des Schleiers eliminiert.
Eines Schleiers, der jetzt geschlossen ist.
Um ihre Besorgnis zu verbergen, schaute Donia mit feierlich ernster Miene auf die Erde; dann fegte sie mit einem Atemzug allen Schnee von dem Baum neben ihrem Lieblingsplatz im Wintergarten. Die Elfenbeinschwestern, die Weißdornleute, die Wolfselfen und Myriaden von anderen Winterelfen waren im Garten versammelt. Wachen trugen Evan zu der Stelle, die sie vom Schnee gereinigt hatte.
Schweigend legten sie seine leere Hülle auf dem nassen Boden ab.
Dann entzog Donia der Erde, auf der er ruhte, die verbliebene Feuchtigkeit, und Evans Leichnam sank in den Boden. Tränen liefen über Donias Wangen, als die Erde ihn aufnahm, und während sie weinte, fiel Schnee vom Himmel. »Auf Wiedersehen, mein Freund.«
Sie neigte den Kopf und ihre Elfen wandten sich zum Gehen. Fast alle waren schon fort, als drei der Weißdornelfen stehen blieben. Eine von ihnen fragte: »Möchtest du lieber allein sein oder sollen wir dir in deiner Trauer Gesellschaft leisten?«
»Allein sein.« Sie hob den Blick. »Es sei denn, es sind geschäftliche Dinge zu erledigen.«
Sie strichen sanft mit den Händen über Donias Arme und Schultern und ließen sie im Wintergarten allein, wo ihr Freund, Wachmann und Berater nun begraben lag. Kaum waren sie weg, entfuhr ihr ein Schrei, der all den Schmerz und die Wut enthielt, die sie in ihrem Innern verborgen hatte. Der Himmel riss auf und ein Schneesturm brach los. Wind peitschte über ihre Wangen; Eis schlug hart in ihr zum Himmel gerecktes Gesicht; und der Schnee hüllte sie in seine bitter nötige Umarmung.
Die Winterkönigin kniete sich auf den nun wieder gefrorenen Boden und wünschte sich, mehr tun zu können, um den Tod des Freundes zu rächen; er hatte sie in ihren langen Jahren als Wintermädchen beschützt und ihr geholfen, sich an das Leben als Winterkönigin zu gewöhnen.
Ich will ihren Tod. Sie hielt inne. Das Gleiche empfindet auch Niall. Und Gabriel.
Donia hatte keinen Zweifel daran, dass Bananach ihre Taten genau geplant hatte: Sie wollte ihren Schmerz und ihre Wut.
Warum?
Donia zwang ihre Gefühle zurück unter den beruhigenden Druck des Schnees in ihrem Innern und ging ins Haus. Zwar war sie eine Elfe in Trauer, aber sie war auch eine Königin in einem Konflikt. Sie würde nicht zulassen, dass ihre Gefühle sie davon abhielten, eine gute Königin zu sein. Evan war zwar nicht mehr da, aber er hatte sie häufig genug beraten, dass sie wusste, was er ihr sagen würde: Versuch, Bananachs Motive zu durchschauen, sieh dir das Muster ganz genau an.
Drinnen setzte Donia sich vor den großen Steinkamin in einem der weniger genutzten Räume und begann niederzuschreiben, was sie wusste. Das hatte den zusätzlichen
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