Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
Ohr, sie holte Luft und sagte: Du hast hübsche, aber traurige Augen, Benedikt.
Was hätte er darauf sagen sollen? Aber es tat wohl, sie so nah zu spüren – da tauchte Arnbjörn der Arzt auf und winkte, und Þuríður verschwand mit ihm in der tanzenden Menge, und da stand Benedikt wieder allein und verlassen da. Er trottete nach draußen, die Treppe hinab, und stieg ins Ortstaxi. Bring mich nach Hause, sagte er zum Fahrer, ohne nachzudenken oder eine bewusste Entscheidung zu fällen.
Anton heißt unser Taxifahrer, er hatte damals gerade eine Polin aus Flateyri kennengelernt, der er SMS schickte, während er vor dem Gemeindezentrum wartete, sie lag in den Westfjorden wach und schickte ihm Antworten. Sie heißt Ester, erklärte Anton dem neben ihm sitzenden Benedikt, der in die Nacht starrte und nicht recht wusste, wie er sich fühlen sollte. Am Tag darauf dachte er jedenfalls häufig an Þuríður, an ihre Lippen, an ihren warmen Atem und ihre Stimme. Wir waren beide blau, und sie hat es bloß aus Mitleid getan, erklärte er dem Hund, und ich glaube, es läuft auch was zwischen ihr und dem Arzt.
Manche fühlen sich ja wohl damit, allein zu leben, in Gesellschaft von Kaffeebechern, Fernseher, Büchern und der Stille, mehr brauchen sie gar nicht, aber auf Benedikt trifft das nur begrenzt zu. Wir können es nicht erklären, verstehen es auch nicht ganz, aber manchmal geht es ihm gut, ist es für ihn das Schönste, mit seinem Hund allein zu sein, und trotzdem ist er so einsam, dass wir es gar nicht mit Worten sagen können, nur seine Hände liegen auf dem Küchentisch, und die Zeit vertröpfelt, oder wie es in einem Gedicht heißt: »Es gibt so tiefe Wunden nahe am Herzen / dass selbst der Regen vor dem Küchenfenster tödlich sein kann.«
* * *
Jetzt aber steht er bei Davið und Kjartan in Lagerinn und tut so, als müsse er gähnen, um das Unbehagen zu überspielen, das ihn in der Gegenwart von Menschen befallen kann. Zudem glaubt er, die beiden wollten ihm einen Bären aufbinden.
Es ist, als ob da drinnen etwas nicht geheuer wäre, sagt Kjartan schließlich.
Was willst du damit sagen, fragt Benedikt brüsk.
Kjartan holt tief Luft und fragt dann ziemlich dümmlich: Glaubst du an Gespenster?
Benedikt schnaubt. Geister sind was für Kinder und Touristen, sagt er. Da knallt Kjartan die Faust auf den Tisch. Davið fällt fast mit dem Stuhl um. Stimmt genau, donnert Kjartan voll Eifer oder gar Begeisterung. Es ist nichts weiter als eine Art Sinnestäuschung, ich hab’s gewusst!
Schön wär’s, sagt Davið und seufzt, aber Kjartan hebt die Klappe in der Theke und zieht Benedikt, so groß ist sein Eifer, fast handgreiflich durch die Lücke. Du bist ein gescheiter Kerl, sagt er wie im Vertrauen, und packt den widerstrebenden Benedikt, der noch immer glaubt, die beiden würden versuchen, ihn hochzunehmen, fest bei den Schultern. Du hast keine Meise, wie unser Davið hier, und schleppst auch keine schwarzen Sünden mit dir herum wie ich, du lebst allein und kennst die Dunkelheit, und du weißt, dass sie nichts weiter ist als Luft ohne Beleuchtung, du weißt, dass das, was tot ist, tot ist und nicht wieder zum Leben erwacht und sich nie wieder muckst. Das alles weiß ich natürlich auch, aber meine Nerven haben in letzter Zeit nicht mehr richtig mitgespielt, vielleicht esse ich zu wenig, jedenfalls ernähre ich mich einseitig und hab’s am Magen, und das wirkt sich natürlich auf die Nerven aus, weißt du ja auch, Benedikt, all das sagt uns die Wissenschaft. Aber obwohl ich das alles weiß und auch glaube, scheint irgendein Teufel hier sein Unwesen zu treiben, der Gabelstapler fährt nicht, man meint, Geräusche zu hören, und in den letzten Tagen war alles außer Rand und Band … – egal, ich habe nur auf einen Mann wie dich gewartet, einen, der keine Gespenster sieht, und jetzt werde ich mich auch wieder einkriegen, sagte Kjartan, richtete sich auf und ließ Benedikt los.
Na gut, sagte der, kann ja nicht schaden, mal zusammen mit dir da drinnen nach dem Rechten zu sehen.
Dann gehen wir jetzt, sagte Kjartan, mit nicht ganz so sonorer Stimme wie gewöhnlich. Benedikt murmelte noch irgendwas, und dann verschwanden sie in der Finsternis.
Davið sah ihnen lange nach, dann stand er auf und ging in das Büro hinter der kleinen Kaffeeküche; ziemlich leer darin, seit Þórgrímur all seine Sachen abgeholt hatte, aber dort stand das Telefon. Davið nahm den Hörer ab und rief die Zeitansage an. Wenn man keine Ruhe
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