Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
ein paar Sekunden, ehe sie begriffen, dass der Kaffee nichts mit dem Quellensammeln und den sich verzweigenden Spuren zu tun hatte. Davið erhob sich, goss dem Gemeindevorsteher einen Becher voll, der vorsichtig viermal daran nippte und sie dabei unentwegt unter seinen buschigen Brauen hervor musterte. Kjartan senkte den Blick auf sein Sandwich, sah den Gemeindevorsteher wieder an und wollte etwas sagen, aber der setzte schnell den Becher ab und nahm übergangslos den Faden wieder genau da auf, wo er ihn fallengelassen hatte. Diese umfangreiche Quellensuche hat etliches Interessante ans Licht gebracht. Der große Unbekannte war zum Beispiel gar nicht so unbekannt, sondern vielmehr der Halbbruder des Bauern, manche Quellen behaupten, er sei ein halber Spanier gewesen, weil er so dunkel war, in einer ist von slawischen Gesichtszügen die Rede. Beide stammten aus den Ostfjorden, der Bauer war als junger Mann hierher übersiedelt, der Bruder aber war viele Jahre im Ausland, fuhr zur See, auf Walfängern genauer gesagt, und hatte sich hier in der Gegend nie blicken lassen, die Frau hingegen, nun ja, sie galt als das, was man triebstark nennt, und der Bauer konnte sie nie zufriedenstellen, jaja, Jungs, die Triebe sind eine dunkle Sache, gegen die man nicht ankommt, sagte der Gemeindevorsteher und hatte selbst eine dunkle Stimme bekommen; dabei grub er mit einer Hand in der Anoraktasche nach seiner Brille, während er die andere erhoben hielt, als wolle er Kjartan und Davið signalisieren, sich ruhig zu verhalten. Dann setzte er die Brille auf und kramte in der Aktentasche. Oh ja, die Geschichte des abgebrannten Hauses hier ist ein Eifersuchtsdrama, eine Saga von Leidenschaft und Feuer, Jungs, Feuer. Feuer, das über das Grab und den Tod hinaus lodert! Er zog ein paar Blätter aus der Ledertasche, räusperte sich und begann zu lesen. Kjartan und Davið warfen sich einen Blick zu, grinsten schwach, und Davið setzte sich wieder. Der Gemeindevorsteher begann mit dem Vorlesen etwa um die gleiche Zeit, als der Landrat im Obergeschoss der Genossenschaft erschien und Asthildur fragte, ob sie Finnur nicht gesehen habe.
Nein, sie hatte ihn auch schon überall gesucht, hier im Obergeschoss und bei ihm zuhause, aber es war, als habe er sich aufgelöst; Þórgrímur hatte ihn als Letzter gesehen und dabei das seltsame Gefühl bekommen, Finnur würde mit der Dunkelheit verschmelzen. Der Landrat schnaubte. Er stand an Finnurs mächtigem Schreibtisch und stöhnte, drehen hier jetzt eigentlich alle allmählich durch? Dabei strich er über den dicken Stapel Papier und las den Titel: Die Jahre, auf die es ankam. Autobiographie. Von Finnur Äsgrimsson. Ums Verrecken gern hätte er den Anfang gelesen, aber da stand Asthildur und beobachtete ihn mit ihren blauen Augen; er sog den Duft ihres Parfüms ein, sie benutzte eins mit kräftiger Moschusnote. Finnur hatte ihr deswegen schon oft Komplimente gemacht. Urplötzlich wurde der Landrat von einem unbezähmbaren Verlangen nach Asthildur befallen, er holte tief Luft und dachte, ich könnte sie hier auf dem Schreibtisch nehmen, ich könnte den Hosenstall aufmachen und sie, hol’s der Teufel, gleich hier auf dem Schreibtisch nach Strich und Faden durchvögeln. Asthildur sprach gerade von Finnur, der Landrat atmete schwer, versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen, dachte dazu an Sölrün und kämpfte gegen den Drang an, der ihm mächtig zusetzte. Er versuchte, sich hinauszustehlen, den Blick auf ein großes Gemälde in einem dicken, vergoldeten Rahmen geheftet. Es zeigte einen Felsen, der sich stolz aus einem wogenden Meer emporreckte. Ein Glied in feuchter Möse, dachte er, das Bild eines heftigen Orgasmus, Asthildur folgte ihm unverdrossen, Finnur dies und Finnur das. Jaja, schon gut, sagte der Landrat, stürzte die Treppe hinab und gab nichts auf Asthildurs befremdeten Gesichtsausdruck.
Sollte das der zweite Frühling sein, dachte der Landrat, als er draußen auf dem Bürgersteig stand und sich langsam wieder einkriegte. Wie konnte ich nur auf diesen Gedanken mit Asthildur kommen, ausgerechnet mit ihr? Sie hat doch eine Figur wie eine Tonne und stinkt nach diesem ekligen Parfüm. Was ist nur los mit mir? Er drehte sich um, um ins Geschäft zu gehen, wäre dabei aber fast mit Sigriður zusammengestoßen, die ihm einen schnellen Blick zuwarf. Diese dunklen Augen! Der Landrat sah ihr nach, wie sie das Gebäude entlangging, dann über die Gasse zwischen Genossenschaft und Lagerinn, und er
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