Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
ihnen sprach, wahrscheinlich war den sechzehn Leben doch nichts zugestoßen, was eigentlich Grund für einen erleichterten Seufzer gewesen wäre, doch verzaubert vom Augenausdruck seiner eigenen Frau kam Guðmundur gar nicht dazu, sie waren dreißig Jahre verheiratet, er kannte ihr Lachen, ihre Mienen, wie sie schlief, wie sie ihren Kaffee trank, wie sie den Mund öffnete, wenn sie ein Eishörnchen an die Lippen führte, dreißig Jahre, aber in diesem Augenblick erschien sie ihm fremd, er hatte diese braunen Augen noch nie gesehen. Sigriður nahm ihren Mann bei der Hand und zog ihn ins Haus, er fiel fast hin, als er sich im Vorbau die Stiefel abstreifen wollte, sie ihn aber einfach weiterzog, Guðmundur konnte sich gerade noch auf den Beinen halten, und sie erreichten den Flur. Sigriður hat stets auf Sauberkeit geachtet, und Guðmundur war der erste Bauer der Gegend, der im Stall einen Overall überzog, worüber man sich jahrelang lustig machte, jetzt aber stolpert er in mistverschmierten Stiefeln durchs Haus, bis sie ihn ins Bett stößt, im Stalloverall und in Gummistiefeln, sie öffnet den Blouson, streift sich den langen roten Pullover über den Kopf und reißt sich die Bluse herunter, anders kann man es nicht ausdrücken. Es regnet Knöpfe über Guðmundur, der überhaupt keinen Gedanken fassen kann, sondern nur auf dem Bett liegt und keine Ahnung hat, was los ist, völlig entgeistert und so überrumpelt, dass seine Erektion erst einsetzt, als sie ihm längst den Overall herabgezerrt und die Hose geöffnet hat und sich mit ihrem so weichen und warmen Mund darüberbeugt.
Für den Rest des Tages kamen sie nicht mehr aus dem Bett, außer um schnell aus dem Haus zu laufen und den Wagen abzustellen, sich rasch etwas zu naschen zu holen und eine Flasche Wodka, die seit anderthalb Jahren kaum angebrochen in ihrem Schrank stand; in dieser Nacht aber machten sie sie leer, es war eigentlich unglaublich, das war doch nicht ihr Leben, es kam ihm manchmal vor, als wäre er in einem Film, mit einer fremden Frau, es fühlte sich aufregend an, aber an Seitensprünge hatte Guðmundur noch nie gedacht.
Sigriður war am Mittwoch in die Lagerhalle gegangen, am Freitag erst erschien sie wieder zur Arbeit, und hatte bis dahin seit zwanzig Jahren noch keinen Arbeitstag gefehlt. Sie war wieder ganz die Alte, beherrschter Gesichtsausdruck, ein wenig kühl, und sie schaltete zur gleichen Zeit im Erdgeschoss das Licht ein, als Guðmundur auf breiten Beinen in den Stall stakste, unausgeschlafen und ziemlich auf den Hund gekommen. Sind das die Wechseljahre, fragte er sich und schmierte sein wundes Glied mit Melkfett ein.
Die Wechseljahre?
Wir haben da so unsere Zweifel. Allerdings liegt manchmal nicht mehr als eine Handbreit zwischen Sexualität und Tod, sie kann etwas Verzweifeltes an sich haben, einen wilden Lebensdurst, und wir erwähnen den Tod, weil wir auch in dieser hell erleuchteten Gegenwart noch das Dunkel fürchten, Angst vor Gespenstern haben und vor dem Unbegreiflichen jenseits des Lebens. In der Nacht, nach der Sigriður in der Halle war, träumte Lulla – sie lebt hier im Ort, liest aus dem Kaffeesatz und den Karten und ist mit Oskar dem Glückspilz verheiratet, der vor einigen Jahren gleich zweimal hintereinander im Lotto gewonnen hat, seinen Job kündigte und seitdem in Fett und Videos und Computerspielen versackt ist – Lulla also träumte, dass ihr die Bäuerin aus der Legende erschien und sagte, es käme alles in Ordnung, wenn man Lagerinn anderswohin baute und die Ruinen schützte und ein Kreuz darauf errichtete. Doch obgleich wir gern an Träume glauben und fast immer tun, was unsere Frauen uns sagen, würde es doch gewaltige Kosten verursachen, ein so großes Gebäude zu verpflanzen. Das würde Millionen kosten, und woher sollten die kommen? Das Ehepaar Laki und Begga, beide kommen hier aus dem Ort, unternahmen, nachdem sie zusammen eine Flasche Wodka geleert hatten, einen Versuch, den Laden in Brand zu stecken, aber das Einzige, was abfackelte, waren Lakis Haare und einer von Beggas Handschuhen.
Am Tag darauf meinte Davið zu Kjartan, er freue sich darauf, Laki mit Glatze zu sehen, aber mir hat es nie Freude gemacht, Laki zu sehen, gab Kjartan zurück, ob mit Haaren oder ohne. Viel lieber würde ich Sigriður öfter hier bei uns sehen. Sigriður! Die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, wenn sie einen nur anguckt! Kjartan blickte seinen Freund an. Du bist noch so jung, du begreifst das
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