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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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nicht.
    Was?
    Das, was sie hat.
    Sie ist fünfzig, sagte Davið und schüttelte den Kopf.
    Sie ist eine Frau, die einen leicht verrückt macht. Ich habe eine Höllenangst, dass ich nicht widerstehen könnte, wenn sie mir nur den leisesten Fingerzeig gäbe.
    Fingerzeig?
    Ja, wenn sie mir in der Hinsicht nur die kleinste Ermunterung gäbe, verstehst du?
    Träum von was anderem, sagte Davið und lachte.Du musst noch eine Menge lernen, sagte Kjartan, und vielleicht sollte man dich darum beneiden.
    Und du bist nicht mehr als dein Schwanz.
    Kjartan schaute lange vor sich hin, ein wenig beleidigt, aber auch traurig, und Davið biss sich auf die Lippe.
    Wahrscheinlich hast du recht, murmelte Kjartan.

Was mit dem Substantiv Weltuntergang verwandt ist
    Kjartan ist in der Gegend nördlich des Ortes aufgewachsen, der Hof steht nur knapp einen Kilometer vom Fjord entfernt. Er war ein kleiner Junge, und das Meer breitete sich vor ihm aus und veränderte andauernd die Farbe. Mit kaum zwanzig übernahm Kjartan den Hof, sein Vater verlor im Heugebläse die rechte Hand, es gab ein hässliches Geräusch, und seitdem hat er seine Frau nie wieder fest genug an sich drücken können. Die beiden zogen in den Ort, bekamen beide Arbeit in der Molkerei, und im Herbst arbeitet sie zusätzlich noch, verlässlich und schnell, im Schlachthaus, gehört zu den Menschen, denen man eigentlich doppelten Lohn zahlen müsste, aber zu ihm sagen wir manchmal: Nun spuck doch endlich mal in die Hände oder: Du hast aber heute wieder zwei linke Hände. Wir finden das witzig; er manchmal auch, aber nicht immer. Kjartan führte den Hof trotz seiner jungen Jahre gut, von Kind an war er ziemlich füllig und mit der Pubertät wurde er richtig dick, er hat einfach die Veranlagung dazu, allerdings isst er auch zu viel, abends noch Kuchen, und beim Schafetreiben hat er die Taschen voller Kekse und Schokolade. Ansonsten ist er darin besser als jeder andere, obwohl er sich nur wenig bewegt, nach drei Wiesenhöckern oder zehn Schritten wird er müde, aber er hat einen unglaublich kräftigen Bass, so einen richtig dröhnenden, und damit allein treibt er einen ganzen Berghang zusammen. Er brüllt nur Ho!, und schon kommt das lose Geröll ins Rutschen. Abends bei den Pferchen singt er viel, und er singt gut, solange er sich in den tieferen Tonlagen aufhält, die Frauen bekamen bei seinen tiefsten Tönen zittrige Knie, aber wenn er hoch singen wollte, ging es dermaßen daneben, dass es aus heiterem Himmel zu regnen beginnen konnte, die Hunde fingen an zu jaulen, und beim Kaffee in den Hütten wurde das geräucherte Lammfleisch auf dem Fladenbrot ranzig. Kjartan war beliebt, er kam nach seiner Mutter, war eine Frohnatur, die immer einen Witz parat hatte. Keiner konnte so schöne Zäune setzen wie er, und er züchtete die besten Stiere der Gegend, Bauern kamen von weither, um sie auszuleihen, oder sie verfrachteten ihre Kühe auf Hänger, fuhren damit zu Kjartan und schoben sie seinem dreijährigen Bullen unter; Losloslosloslos, machte Kjartan, und der Bulle samte in fünf Sekunden ab, sein Glied wie eine überdimensionale rote Rübe. Aber halten wir uns nicht beim Geschlechtsleben der Rinder auf, es ist so ärmlich, zwei, drei ruckende Stöße des Bullen, Schaum spritzt, die Augen wollen aus den Höhlen quellen, und schon ist es vorbei, der Bulle wendet sich dem Gras zu, die Kuh will heim in den Stall, das ist so simpel, ganz anders als bei uns, Gott sei Dank oder leider, Kjartans Frau aber heißt Asdis, und sie haben drei Kinder.
    Lange Zeit schien alles nach Plan zu laufen, genau wie Gott und das Landwirtschaftsministerium es sich mit Kjartans und Asdis’ Hof gedacht hatten. Sie passten die Wirtschaft dem Geist der neuen Zeit an, wir sahen die mustergültigen Drahtzäune weit in die Zukunft hineinleuchten, sie setzten Kinder in die Welt, gestalteten das soziale Leben der Gemeinde mit. Asdis nahm Fernunterricht in Buchführung, Englisch, Deutsch, Isländisch und Mathematik, sie wollte ihren Horizont ein wenig erweitern, und so manchen Abend, wenn die Kinder im Bett waren und die Dunkelheit die Außenlaternen auf den Höfen angeknipst hatte, saß sie am Küchentisch und lernte. Dann machte Kjartan den Fernseher aus, holte sich etwas zu lesen, einen Krimi oder das Landwirtschaftsblatt Freyr, und setzte sich zu ihr. Gesellschaft ist gut. Aber der Mensch ist nun mal, wie er ist, doch ehe es weitergeht, soll hier einmal deutlich gesagt werden, dass Kjartan seine Frau liebte,

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