Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
hatte die Pistole entdeckt, den Knall gehört, und dann dehnte sich der Moment zur Ewigkeit, und mittendrin stand er und erwartete die Kugel. Tausendmal sollte er sich später wieder und wieder fragen, Tag und Nacht, im Schlaf oder wachend, froh oder betrübt, voll oder nüchtern: Wollte sie mich treffen?
Sieben
Vielleicht zehn Minuten, nachdem der Schuss gefallen war, saßen sie am Küchentisch. Nichts durfte er beichten, das war schlimm, es hätte ihn erleichtert, und die Vergebung der Sünden reinigt, ist wie ein Desinfektionsmittel, aber Asdis sagte bloß: Ich weiß alles und ich werde dir diesen Verrat an mir, an den Kindern und an unserem gemeinsamen Leben niemals verzeihen. Kjartan begann zu reden, er wollte nichts erklären, nur reden, sagen, dass er sich selbst nicht verstehe, dass er Mal um Mal versucht hätte, die Sache abzubrechen, dass er ein Mistkerl sei, ein verfluchter Idiot, er wollte von den durchwachten Nächten erzählen, wie schlecht er sich gefühlt hatte, er wollte sagen, Kristin ist nichts im Vergleich zu dir, du lieber Gott, gar nichts, du bist so viel besser, was für ein bescheuerter Idiot bin ich bloß gewesen? So wollte er reden, vielleicht ein bisschen weinen dazu, er wollte gern weinen, brauchte das. Er wollte auch, dass sie ihn anschrie, das brauchte er ebenfalls, er wünschte sich, dass sie ihm Vorwürfe machte, und er würde alles zugeben, er würde nicht einmal versuchen, sich zu verteidigen, kein Wort davon, dass sie immer nur mit ihrem Lernen beschäftigt war und alles andere vernachlässigt hatte oder dass sie sich vielleicht nicht genug um ihre Ehe gekümmert hätten, sondern einfach alles laufen ließen, die Liebe sei ein Feuer, und Feuer würden erlöschen, wenn man sie nicht immer wieder schürte und nachlegte. Aber er bekam nicht viele Gelegenheiten, etwas zu sagen, sie hob die Hand, und er verstummte. Dann sagte sie: Im Ort steht ein gutes Haus zum Verkauf und bei Lagerinn ist eine Stelle frei. Ich habe mit Þórgrímur gesprochen, und du bekommst die Stelle, wenn du sie haben willst. Kjartan hörte völlig entgeistert, ja schockiert zu. Er konnte erst überhaupt nichts dazu sagen, hatte einen großen harten Kloß im Hals sitzen und stieß schließlich mit kaum hörbarer Stimme hervor: Den Hof verkaufen?
Ja, sagte Asdis.
Kjartan blickte sich hilfesuchend um, als wolle er, dass der Kühlschrank auch etwas dazu sagt, oder die Kaffeekanne, das Radio, die Wände, das Haus selbst. Aber niemand kam ihm zu Hilfe, und da sagte er das Einzige, was ihm einfiel: Aber wir leben seit bald einem Jahrhundert hier.
Wir haben oft davon gesprochen, zu verkaufen, sagte Asdis ruhig, ein wenig kalt, und suchte sämtliche Gründe zusammen, die sie in den letzten Jahren dafür angeführt hatten: dass so ein mittelgroßer Hof kaum Zukunft habe, die ewige Sorge, ob sie über die Runden kämen, dass sie den Kindern nicht die besten Möglichkeiten bieten konnten und die Aussicht, das Leben in nicht endenden Schwierigkeiten zu fristen.
Es kommt eine andere Zeit, in einigen Jahren, zehn oder zwanzig, werden nur noch die großen Höfe überleben, drei-, viermal so groß wie unserer, die, die auf kleineren Höfen nicht aufgeben wollen, werden andauernd Probleme haben und immer wieder Enttäuschungen erleben. Das hast du selbst oft gesagt, und dein Bruder hat es ebenfalls oft gesagt.
Aber Vater und Mutter, warf Kjartan ein, nach Argumenten oder Strohhalmen suchend, das können wir ihnen doch nicht antun! Asdis sah ihren Mann über den Küchentisch hinweg an, es wurde ein paar Grad kälter in der Küche. Es gibt so manches, was wir anderen nicht antun können, sagte sie, und trotzdem tun wir’s. Kjartan senkte den Blick auf den Küchentisch und wollte ihn am liebsten nicht wieder heben.
Asdis: Außerdem leben wir nicht für deine Eltern. Du brauchst Leuten auch keine sentimentalen Gefühle anzuhängen, die sie gar nicht haben, und natürlich kannst du einen Streifen Land für ein Sommerhaus für sie und deinen Bruder behalten. Aber jetzt sage ich dir, was Sache ist: Ich werde in den Ort ziehen, und trotz allem, was passiert ist, biete ich dir an, mitzukommen. Aber dieses Angebot mache ich nur dieses eine Mal.
Kjartan seufzte. Dann ging er hinaus, um den Dodge zu löschen, das gestaltete sich schwierig, der Wagen stand in hellen Flammen, sein Leben stand in Flammen. Erst nachdem er gelöscht hatte und vor den schwarz verkohlten Resten seines Oldtimers stand, nahm er die Stille um sich herum wahr,
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