Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
sich mit Platten und Tassen durch die Leute schlängelten, nie blieben eine Tasse oder ein Teller lange leer. Elisabet tauchte überall mit einer Kanne auf, die nie leer zu werden schien. Eine Runde noch in diesem engen Oberteil, und wir mussten unweigerlich Berechnungen über den Abstand zwischen ihren Brustwarzen anstellen. Warum kleidet sie sich nur so? Der Astronom wartete geduldig hinter dem Pult, keine Spur von Nervosität mehr an ihm, mittlerweile war er in seinen Vorträgen ebenso sicher wie seinerzeit in der Blüte der Strickerei. Endlich dämpfte Elisabet das Licht, das allgemeine Gemurmel erstarb, und der Astronom kündigte an: Heute Abend möchte ich über die denkbaren Grenzen des Universums reden, die denkbaren Grenzen aller Existenz.
Du kannst dir vorstellen, dass wir die Ohren spitzten.
Ganz normal, dass die wenigsten von uns bis dahin einen Abend auf derart absonderliche Fragen verschwendet hatten, wir hatten genug anderes zu tun. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass solche weitschweifigen Betrachtungen zu erhöhtem Konsum von Alkohol, Schlaftabletten und Antidepressiva führen.
Eingangs behauptete der Astronom, der Mensch würde das Leben niemals begreifen, seine Dimension nie erfassen, seine Wesensart liege außerhalb unseres Vorstellungsvermögens und sei zugleich so selbstverständlich und einfach, dass man es keinesfalls begreifen könne. Uns wurde ein bisschen schwindelig bei diesen Worten. Der Astronom hat eine hohe Denkerstirn, seine Augen wechseln je nach innerem Gemütszustand die Farbe, eine ganze Sprache flog ihm im Traum zu – wie soll man geistig mit so einem Mann Schritt halten? Zudem verstanden wir kaum die Hälfte der Wörter, die er benutzte, und Elisabet enthielt uns auch in der Broschüre einen Auszug aus dem Vortrag vor. Soweit wir behalten haben, sagte er: Manche behaupten, der Tod sei eine direkte Fortsetzung des Lebens, weshalb es auch falsch sei, zu behaupten, die Menschen würden sterben, vielmehr wechselten sie einfach von einer Bühne auf die andere. Die Verstorbenen seien daher nicht tot im Sinne von verschwunden, sie seien überall um uns herum, umschlössen das, was wir das Leben nennen, wie der Himmel die Erde. Oder, wenn wir so wollten, wer stirbt, würde an die Grenzen des Universums versetzt, dort sei das ewige Leben, dort draußen am äußersten Rand des Kosmos, weit von unseren Augen entfernt. Das sind natürlich alte Theorien, setzte er hinzu und wedelte wegwerfend mit der Hand. Dann wechselte er zum kosmischen Hintergrundrauschen als einer Strahlung, die aus allen Richtungen von den Rändern des Weltalls zu uns käme. Sie sei möglicherweise ein Rest des Urknalls, aber auch denkbar als akustische Spur von Gesprächen in anderen Welten, als das Raunen der Toten.
Damit beschloss der Astronom seinen Vortrag: das Raunen der Toten! Glücklicherweise schaltete Elisabet das Licht ein. Schweigend saßen wir da, und uns schoss so Verschiedenes durch den Kopf, während er seine Papiere zusammenschob, einen Schluck Wasser trank, über den Saal blickte und fragte: Gibt’s noch Fragen? Dabei lächelte er so schelmisch in die Runde, dass es die meisten schachmatt setzte, aber nicht alle; es gibt immer welche, die uns durchs Dunkel hindurch führen. Der Gemeindevorsteher wischte sich übers Gesicht und räusperte sich schon, und Helga, du erinnerst dich, die mit dem Telefondienst, die Psychoratgeber auf Englisch liest, holte tief Luft und wollte aufstehen, aber Björgvin kam ihnen beiden zuvor. Der Herr Bankdirektor der Landwirtschaftsbank persönlich, auch Björgvin junior genannt, als der alte Genossenschaftsleiter noch unter uns weilte, er sitzt zudem im Vorstand der Molkereigenossenschaft, des Gemeindezentrums und des Genossenschaftsladens. Wir sind ja so wenige hier.
Früher hatte Björgvin einmal von einem Leben an der Seite Agüstas von der Post geträumt, aber es blieb nur ein Traum, wie so oft, die Welt ist voller Träume, die nie in Erfüllung gehen, sie verpuffen und schlagen sich als Tau am Himmel nieder, wo sie sich nachts in Sterne verwandeln. Björgvin hatte nie den ersten Schritt gemacht, und Agüsta hatte genau darauf gewartet, dass er ihn machen würde; sie tanzten auf einigen Partys zusammen, ihre Hände berührten sich einmal, zweimal, dreimal, aber dann heiratete Björgvin Sibba Jons, die damals dünn und kurz war wie ein Stückchen Schnur, aber so clever und flink in allem, dass wir uns in ihrer Gegenwart manchmal richtig gelähmt fühlten. Einmal
Weitere Kostenlose Bücher