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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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manchmal durch die Reibung zwischen Nachbarn auf dem Lande entsteht. Vielleicht sind wir Isländer so an das Leben auf Einzelhöfen gewöhnt, dass wir mit Nachbarn einfach nicht umgehen können, ungeübt darin, Rücksicht auf andere nehmen zu müssen, etwas, das man auch mangelnde soziale Kompetenz nennen könnte und das uns tief im Blut liegt. Lara wundert sich über den Besuch, Kristin sitzt, vor Schreck gelähmt, stocksteif auf ihrem Küchenstuhl, der Schweiß an ihr trocknet, während sich Lara um den Kaffee kümmert und ein paar Kekse auftischt. Dabei spekuliert sie im Stillen über den Anlass des Besuchs, sagt ein paarmal Jaja, soso und Sieh mal an, erkundigt sich nach dem Vieh, der Heuernte, dem Zustand der Weiden. Asdis gibt kurz Auskunft, aber nicht mehr, dazwischen immer wieder Schweigen, und Lara wiegt nervös den Oberkörper vor und zurück. Asdis rührt den Kaffee nicht an, obwohl eine volle Tasse vor ihr steht, erkaltende schwarze Flüssigkeit; als Lara das mitbekommt, regt sie sich innerlich fürchterlich auf: Dieses Pack von Sämsstaöir, denkt sie, nichts als aufgeblasen und arrogant! Sie stellt jedes Bemühen um Höflichkeit ein, kreuzt die dünnen Arme, presst die schmalen Lippen zusammen und verstummt. Lange Zeit ist kein Ton zu hören, dann nippt Lara von ihrem Kaffee, die beiden anderen sehen ihr zu, unbedacht stopft sie sich einen Keks in den Mund und bereut es auf der Stelle. Langsam und vorsichtig beißt sie zu. Asdis und Kristin blicken vor sich hin und lauschen, Lara kaut langsam, in der Hoffnung, es sei dann nicht so zu hören, dafür zieht es sich endlos hin. Endlich schluckt sie, furchtbar trocken diese Kekse, ihr scharfgeschnittenes Gesicht ist rot geworden, sie greift nach der Tasse, trinkt zu schnell, verschluckt sich, hustet, Asdis und Kristin sehen sie wieder an, dann neuerliches Schweigen. Erstaunlich, wie diese Stille die Zeit verschrecken kann, die Minuten sehen sich selbst nicht mehr ähnlich, scheinen nie vorbeizugehen, sind ein stillstehendes Firmament. Kristin lauscht ihrem dumpfen Herzschlag, wie eine schnell und rhythmisch geschlagene Basstrommel: bumm, bumm, bumm! Es juckt unter der salzigen Kruste, die der Schweiß zurücklässt, sie riecht, wie Kjartans Geruch aus ihrem Ausschnitt aufsteigt und sich in der Küche verbreitet, ein Geruch nach Küssen, Stöhnen, Schweiß und Samen, sie hatte ihm gesagt, er solle ihn ihr über den Bauch spritzen, satter, süßlicher Duft von Sperma. Du warst joggen, sagt Asdis unvermittelt, so plötzlich, dass sie alle zusammenzucken und Lara vor lauter Anspannung noch einen Keks nimmt. Das Schweigen ist bei diesen Worten noch tiefer geworden, dabei war es ohnehin drückend genug. An seinem Grund sitzt Lara und weiß nicht, ob sie schnell oder langsam kauen soll, vergeblich hofft sie, dass sich der Keks in ihrem Mund auflöst. Asdis und Kristin scheinen zu warten, bis sie fertig gekaut hat, also beeilt sie sich, bringt es hinter sich, kaut, schmatzt, schluckt. Schweißperlen auf der Stirn. Dann sagt Kristin: Ja.
    Nur dieses eine Ja ein, zwei Minuten nach der Frage. Asdis: Wolltest du nicht duschen?
    Kristin: Ich bin gerade erst ins Haus gekommen.
    Asdis: Dann sollten wir dich jetzt am besten unter die Dusche lassen, du musst dich doch bestimmt waschen, bist ganz verschwitzt nach der Anstrengung. Ihre geöffneten Lippen lassen weiße, nicht sonderlich gerade Zähne sehen. Miststück, denkt Kristin und blickt auf ihre Schwiegermutter, die wütend Asdis anstarrt.
    Ich denke schon, sagt Kristin.
    Dann solltest du dich jetzt säubern.
    Pause nach jedem Wort. Jedes von ihnen ein Stein, den Asdis aus sich hervorholt und auf den Tisch legt: Dann – solltest – du – dich – säubern. Lara schnauft, sie will etwas sagen, starrt Asdis und die gefüllte Kaffeetasse wütend an, doch die Besucherin erhebt sich, schiebt langsam den Stuhl zurück und sagt leise, kalt: Ich hoffe, du hast es wenigstens genossen. Damit verlässt sie die Küche, das Haus.
    Sie ist übergeschnappt, stellt Lara mit schriller Stimme fest und fügt mit Inbrunst hinzu: Dieses Sämsstaöapack, dieses … Verblüfft schweigt sie, fast erschrocken, als Kristin zur Tür stürzt, sie aufreißt und in das abnehmende Aprillicht hinausschreit: Und ob ich es genossen habe! Jeden gottverfluchten Augenblick!
    Asdis steht neben der geöffneten Wagentür und blickt sich um. Hallo Petur, sagt sie, obwohl gar kein Petur zu sehen ist. Kristin schlägt die Haustür zu.

Fünf
    Zwei Tage später

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