Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
selbst strich nur wenig an, das überließ sie Jónas.
Wie soll ich die Wand denn bemalen, fragte er so leise, dass es eher wie atmen als wie sprechen klang.
Das entscheidest du ganz allein, antwortete sie, worauf Jónas die Hände aus den Taschen nahm, zum Boden lächelte und loslegte. Es brauchte den ganzen Sommer, obwohl er schon morgens um sechs erschien, die Wangen noch weich vom Schlaf, Þórgrímur holte ihn gegen neun ab und brachte ihn nach fünf wieder hin, und Jónas malte bis tief in den Abend. Eigenartig, dass es möglich ist, etwas so Totes wie eine Hauswand in etwas Lebendiges zu verwandeln, und nicht selten haben wir uns die Zeit damit vertrieben, die Vögel zu zählen, die zu Tausenden über die Mauern flattern; es ist schön, zu dem Gebäude hinabzuschlendern, besonders im Winter, wenn der Himmel arm an Vögeln ist, wenn die Zeit vor lauter Dunkelheit nicht vorankommt und man kaum das Wasser dazu bringt, aus dem Hahn zu laufen. Die Vögel auf den Mauern aber wirken so lebendig, dass ein Kater aus der Nachbarschaft, ein rotes Mistvieh, das schon viel zu viele Vögel auf dem Gewissen hat, in den ersten Wochen immer wieder die Wand ansprang. Das konnte man seinem Schädel deutlich ansehen, und so richtig hat er es mit der Pirsch auf Vögel seitdem nicht mehr hingekriegt. Sage noch mal jemand, die Kunst habe keinen Einfluss auf das Leben. Elisabet aber schwang den Kuhfuß, griff nach der Säge und legte die Bohrmaschine weg – manchen tat es in der Seele weh, eine Frau allein mit solchem Werkzeug hantieren zu sehen, sie gingen zu ihr und fragten: Kann ich dir nicht helfen bei dem, was du da machst, was immer es auch sein mag?
Doch, sagte Elisabet, zieh dich aus, ich arbeite am liebsten mit einem nackten Kerl in Reichweite, besonders wenn ihm einer steht. Oder sie sagte: Oh ja, danke, ich brauche einen Handlanger, halt doch mal die Leiter! Oder: Danke, ja, setz doch mal Kaffee auf und hol mir die Zeitung!
Mit dem Arsch wackeln und ein freches Mundwerk haben, sonst hat die doch nichts zu bieten, lästerten einige Frauen, aber was bieten die Kerle ihr auch ihre Hilfe an? Bei ihnen zu Hause bleibt alles stehen und liegen, die Dachkante, die Fensterrahmen und das ganze Dach müssten gestrichen werden, die sollten sich besser um ihre eigenen Aufgaben kümmern, anstatt mit dem Verstand im Schniedel und den Augen auf ihren Titten dort herumzuscharwenzeln.
Von Jónas allerdings akzeptierte Elisabet Hilfe und auch von Simmi, der an den Leitungen herumflickte und manchmal mit Elisabet und Asbjörn dem Maurer auf die Exfrau des Astronomen zu sprechen kam. Ja, Asi mit der Maurerkelle, kein Kind von Traurigkeit, sondern einer von diesen Menschen, denen es Mühe macht, einmal etwas anderes als die positiven Seiten des Lebens zu sehen, kaum einmal verschwindet das Grinsen unter der Baseballkappe, die von den ganzen eingetrockneten Zementklecksen darauf schwer ist wie ein Taucherhelm.
Du hast hier aber mächtig aufgeräumt, sagte er und ließ den Zementsack in eine Ecke plumpsen.
Ja, hier wird es einige Veränderungen geben, antwortete Elisabet. Sag mir, was das hier werden soll, und ich bin der glücklichste Mann des Ortes.
Das bist du schon, aber ich sag’s dir trotzdem, ich werde ein Restaurant eröffnen. – So kamen wir dahinter.
Eine dümmere Idee konnte einem wahrlich nicht einfallen. Die zehn Hände frohlockten und prophezeiten den sicheren Bankrott, wir anderen, die wir uns etwas mehr Leben im Ort wünschten, seufzten resigniert. In jedem Haus ein Herd, manch einer funkelnagelneu, die Leute hatten ihre Kochbücher voller Rezepte, schnitten noch zusätzlich welche aus den Zeitungen aus oder schrieben sie aus Illustrierten ab, hier gab es wirklich keinen Bedarf für ein Restaurant, zumal man sich am Tankstellenkiosk Würstchen, Sandwiches, Hamburger und Pommes kaufen konnte, unbegreiflich, wieso die Bank Kredite für einen solchen Schuss in den Ofen lockermachte, was dachte sich Björgvin bloß dabei, oder sollte Sibba das genehmigt haben? Gott, was würde Elisabet auf die Nase fallen! Pleite, Enttäuschung, Depressionen, sie würde vielleicht sogar aus dem Ort wegziehen, mitsamt ihren Brüsten und ihrem Gang, die fünf rieben sich ihre zehn Hände: Des einen Leid, des anderen Freud.
Oder wie?
Am Freitag, dem 4. September 1998, eröffnete Elisabet ihr Gasthaus. Ein paar Tage vorher hatte sie eine Leiter ans Haus gelehnt, war mit einem kräftigen Akkuschrauber hinaufgestiegen und hatte angefangen, die
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