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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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noch im Tiefschlaf liegt und die Dunkelheit noch so dicht ist, dass wir manchmal zweifeln, ob die Sonne es überhaupt schafft, sich noch einmal aus der Tiefe über die vereisten Berge zu erheben, um das Gute und das Wehe in uns zu wecken. Jakob fährt nach Süden in die Großstadt, lädt alles ab, was er dort loswerden will, und lädt danach alles, was wir nicht entbehren können. Es geht auf Mittag zu, bis der Wagen beladen ist. Jakob ist ein umsichtiger Fahrer, er rollt durch die Straßen der Stadt und folgt dabei aus einer angeborenen Schüchternheit den Hauptausfallstraßen. Am Busbahnhof macht er Halt, um zu Mittag zu essen, am liebsten mag er Koteletts, er unterhält sich mit anderen Fernfahrern, von denen manche das unverschämte Glück haben, zwölf Stunden bis nachhause zu brauchen, das ist so wunderbar, dass Jakob es sich gar nicht ausmalen mag. Sie schimpfen auf die Politiker, lassen vor allem kein gutes Haar am Verkehrsminister, meckern über irgendeinen Fußballtrainer, reden über Frauen, vor allem aber über Autos, Ersatzteile und welche Werkstatt die beste ist, nie jedoch über die Arbeit der Scheibenwischer, manches auf dieser Welt spricht man besser nicht aus, denn es nimmt dadurch Schaden. Schließlich macht sich Jakob auf den Rückweg nach Westen. Manchmal hat er länger auf Fracht warten müssen und kommt erst später los, dann dämmert es bereits abendlich über der Stadt; wenn er den Borgarfjöröur erreicht, ist es bereits dunkel, die Berge verschmelzen mit der Dunkelheit, die von den starken Scheinwerfern zerteilt wird, sie leuchten voran, und der schwere Wagen folgt. Man sollte immer dem Licht folgen.
    Jakob bekommt Geld für sein Fahren, davon bezahlt er die Stromrechnung, die Raten für seinen Laster und das Haus, einen neuen Herd, er kauft Milch und Brot davon, und doch kann man in seinem Fall nicht von Arbeit sprechen, das Fahren ist für ihn vielmehr eine Lebensweise, Lebensinhalt, reines Vergnügen, doch zusätzlich zu dem, was wir bereits aufgezählt haben, der Leichtgängigkeit der Lenkung, der ergonomischen Form des Schalthebels und der Tätigkeit der Scheibenwischer, müssen noch der Kassettenrekorder und die Kassetten erwähnt werden, die Jakob abspielt, wenn es nicht regnet, wenn die Wischblätter schlafen und der Himmel trocken ist. Seine Frau Eyglo nimmt die Bänder für ihn auf und stellt all die alten Schätzchen zusammen von Gylfir Ægisson, Haukur Morthens, Ásí Bæ, Ellý Vilhjálms, Elvis Presley und den Beatles, und wenn jemand versuchen wollte, Jakob das Wort Glückseligkeit zu erklären, dann würde er nicken und an die Scheibenwischer denken, an das Geräusch der Heizung und an den Kassettenrekorder.
    Niemandem würde es auch nur im Traum einfallen, sich von Jakob in die Stadt oder zurück mitnehmen zu lassen, obwohl er ein Mensch von der Sorte ist, die keinem etwas abschlagen kann. Nur Eyglo ist schon mit ihm gefahren, aber sie ist auch seine Frau, und außerdem kommt das nur einmal im Jahr vor, meist so um den 15. Dezember, das ist dann ihre Adventsreise. Seit zehn Jahren hat Eyglo einen Teilzeitjob, sie sitzt zuhause und tippt für ein Unternehmen in Reykjavik Zahlen ein, der Computerbildschirm beleuchtet ihr grobes, fleischiges Gesicht und ihre unreine Haut, sie schmiert ihrem Mann die Brote für unterwegs, wäscht seine Wäsche und putzt das Bad, die Bettwäsche wechseln sie gemeinsam, und sie teilen sich die Gartenarbeit, sie gehören zusammen wie die linke und die rechte Hand. Ein großer Trost, dass es noch solche Menschen gibt, da wird es nicht vollständig dunkel über einem. Wenn sie kommt, beißt Eyglo ihrem Mann in die rechte Schulter, sie macht die Augen zu, die Welt wird immer größer, sie verliert den Kontakt zur Erde und beißt fest in seine Schulter, zum Teil vor Lust, aber nicht weniger aus einer tiefsitzenden Angst, ihn zu verlieren. Danach liegen sie beide still, grabesstill, während sich die Welt wieder zusammensetzt, jedes Bruchstück an seinen Platz, es ist ein Geduldsspiel, dann richtet sich Eyglo auf, greift nach einem Napf mit Heilsalbe auf dem Nachttisch und reibt ihm sorgsam die Schulter ein, wobei sie sein Gesicht küsst. Jakob denkt, und er sagt es auch: Du bist so schön. Und jedes Mal wird sie rot, auch nach all den Jahren noch, denn er ist der Einzige, der das jemals zu ihr gesagt hat. Sie ist nämlich klein und dick, richtig fett sogar, mit kurzem Hals und nahezu farblosem Haar, das nicht selten wie nasses Heu aussieht. Um solche

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