Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
verwitterten Buchstaben abzumontieren: Prjónastofa. Ein trauriger Augenblick für uns. Selbst Asi fühlte plötzlich die Schwere seiner Baseballmütze. Elisabet hatte im Laden eine Ankündigung ausgehängt, darauf stand, an jenem Tag würde sie den Schriftzug abnehmen und Jónas den Namen des Restaurants auf die Fassade des Hauses malen lassen, das vor vielen Jahren aus der Wodkapulle zweier Parlamentarier aufgestiegen war wie ein Geist aus der Flasche. Aufgrund des Aushangs hat sich eine beachtliche Menschenmenge vor der Strickerei versammelt, und jemand fragt: Ist das denn wirklich nötig, Elisabet?
Was?, fragt sie zurück.
Die Schrift abzumontieren. Das ist irgendwie traurig.
Wozu muss es denn ein neuer Name sein? Warum muss immer alles anders werden?
Weil sich die Erde dreht, antwortet sie und hebt den Schrauber wieder an, doch da kommt Gaui auf seinem Rad den Abhang herabgeprescht. Er hält den Lenker fest umklammert, denn der Asphalt ist uneben und das Leben des Menschen vergänglich.
Zwei
Gaui hat ein Juraexamen von der Universität Islands. Wer wenig kann, aber eine große Klappe hat, der studiert Jura, sagt er manchmal grinsend. Er ist Asis Bruder. Ging nach Reykjavik aufs Gymnasium, wir glaubten, er sei auf Nimmerwiedersehen verschwunden oder käme höchstens einmal auf Besuch, und das dachte er wohl auch. Aber was weiß man schon? Jedenfalls eröffnete er in Reykjavik seine eigene Anwaltskanzlei, war sehr umtriebig und tüchtig, legte sich eine Wampe zu und beschäftigte nach acht Jahren sechs Angestellte, besaß ein 300-Quadratmeter-Eigenheim, einen Jeep und eine Golfausrüstung, doch dann muss etwas passiert sein, denn er hat das alles binnen eines Jahres versoffen – eine ansehnliche Leistung. Seine Frau Geröur hielt immerhin fest zu ihm, auch wenn es eine Zeitlang auf Messers Schneide stand. Sie haben zwei Kinder und zogen nach einer Entziehungskur hierher. Es ist echt der Arsch der Welt, meinte Gaui, man schläft schon ein, wenn man durchfährt, aber es ist ein guter Platz, um sich wieder zu berappeln und zur Ruhe zu kommen. Sie mieteten in Asis Kellergeschoss eine 90-Quadratmeter-Wohnung. Wie viel Miete nimmst du dafür, Bruder?, hatte Gaui gefragt, denn nichts tut so weh wie Almosen. Einen Job bekam er als einfacher Arbeiter bei der Stromgesellschaft, seine Frau eine halbe Stelle in der Molkerei und die Aussicht auf einen Zuverdienst im Schlachthaus im Herbst, und das war auch bitter nötig, denn es ist unglaublich, was man innerhalb eines Jahres für ein Vermögen vertrinken und Schulden anhäufen kann.
Asi: Ihr bezahlt mit einer Geschichte jeden Samstag, wenn der satirische Wochenrückblick im Fernsehen vorbei ist. Sie darf nicht weniger als eine Viertelstunde dauern und muss die ganze Zeit meine Aufmerksamkeit wachhalten.
Red keinen Scheiß, Asi, sagte Gaui.
Könnt ihr diese Bedingungen nicht erfüllen, zahlt ihr vierzigtausend im Monat.
Das kann ich nicht akzeptieren.
Okay, dann muss die Geschichte wenigstens zwölf Minuten lang sein, aber ich halte daran fest, ich muss sie interessant finden.
Das ist entwürdigend.
Gut, dann bleibt es bei fünfzehn Minuten.
Hör mal, Asi, ich hab mein letztes Hemd versoffen, alles weggeworfen, was ich hatte, und viel Gutes kaputt gemacht, ich habe gesoffen wie ein Schwein, mich benommen wie ein Arschloch, ich war eins, habe meine Frau betrogen und die Kinder geschlagen, ich gebe das alles zu, aber du sollst mich trotzdem nicht wie einen Bettler behandeln. Ich will ein neues Leben anfangen, und darin ist kein Platz für Almosen.
Du missverstehst mich, erklärte Asi und guckte auf seine kurzen, dicken Finger, rau von der Arbeit, trocken und rissig vom Zement.
Ich missverstehe dich keineswegs, ich will Miete zahlen, und damit Punkt.
Du sollst auch Miete zahlen, mit einer fünfzehn Minuten dauernden Geschichte jeden Samstagabend.
Genau das nenne ich Almosen geben, sagte Gaui, und warum, zum Teufel, grinst du?
Ich grinse nicht.
Doch.
Nein. Ich habe gelächelt.
Ich nenne das Grinsen, beharrte Gaui wütend.
Gut, dann nenn es meinetwegen Grinsen, aber du missverstehst die Sache komplett. Guck mal, ich bin jetzt zweiundvierzig und lebe allein, seit Vater starb und Mutter ins Altersheim ging. Ich bekomme ordentlichen Lohn, nicht zu knapp, habe sogar ein paar Pfandbriefe, aber manchmal ist es abends recht einsam bei mir, vor allem an den Wochenenden. Sonst ist es egal, da bin ich ohnehin kaputt von der Arbeit, aber die Wochenenden sind hart, auch
Weitere Kostenlose Bücher