Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
Vertrauen ein und wirkt überzeugend, man hat ihn auch schon aufgefordert, zu kandidieren oder sich als Moderator beim Fernsehen zu bewerben, doch wenn man ihm die Hand gibt, rinnen einem seine kräftigen Hände widerstandslos wie Sand durch die Finger. Jakob der Fernfahrer aber ist ganz anders als sein Namensvetter, er ist glücklich, führt ein erfülltes Leben, auf dem keine Schatten liegen. Du fragst dich natürlich, wie das sein kann in unserer Zeit, wo von unserer Zivilisation schon ein strenger Geruch ausgeht, wir kaum ein Flugzeug oder einen Zug ohne die Angst besteigen, in die Luft gesprengt zu werden, Kameras unsere Straßen überwachen, immer weniger Grund sehen, noch zur Wahl zu gehen und der Sockel unserer Demokratie wegfault – wie ist es da einem LKW-Fahrer möglich, so uneingeschränkt glücklich zu sein?
Zwei
Weniges auf der Welt kommt dem gleich, einen Laster zu fahren.
Jakob ist seit 1980 unser Fernfahrer Nr. 1 am Ort, doch obwohl es klasse und sogar noch viel mehr ist, den großen Fernlaster zwischen hier und Reykjavik zu kutschieren, war es noch viel besser zu Zeiten, als man noch gut vier Stunden für die Fahrt Richtung Süden brauchte. Heute schaffen PKWs das in rund zwei Stunden, ein Laster in etwa drei, so ist die Welt schon wieder zusammengeschrumpft und dennoch der Abstand von Mensch zu Mensch nicht kleiner geworden. Du hättest uns allerdings sehen sollen, als vor drei Jahren die neue Straße über den Pass eröffnet wurde, breit und gerade, statt der alten, die sich eng auf und ab wand, sogar im Kreis führte und sich überhaupt nicht darum zu kümmern schien, irgendwann einmal ans Ziel zu kommen, zudem war sie winters häufig tief verschneit. Was haben wir gefeiert! Party im Gemeindezentrum, wir waren stockbesoffen, die Frauen hatten rote Lippen, und das Gras duftete. Jakob war der Einzige, der nicht jubelte, es riss sogar ein Strang in seinem Herzen, als er zum ersten Mal die neue Straße befuhr, der Pass lag nach einer Viertelstunde schon hinter ihm, nicht erst nach fünfzig Minuten, und die alte Straße schlängelte sich hoch über der neuen entlang, auf halbem Weg zum Himmel. Jakob ist allerdings kein Mann, der den Kopf hängen lässt, er fährt eben einfach langsamer, denn wir wiederholen es noch einmal: Weniges auf der Welt kommt dem gleich, einen Laster zu fahren, und daher wäre es doch blöd, sich zu beeilen. Jakob ist absolut begeistert vom Fahren und von den Bewegungen des Wagens, er rollt aus dem Ort und freut sich über die Leichtgängigkeit der Lenkung, über die ergonomische Form des Schaltknüppels, die schiere Kraft des Motors, und am schönsten ist es, wenn es regnet, denn wann sonst könnte man diese Mischung aus Tatendrang und Zärtlichkeit erleben, die in den Bewegungen der Scheibenwischer zum Ausdruck kommt? Hinter der Scheibe aber sitzt Jakob und hält glücklich das Lenkrad in seinen Händen. Früher hat er die Tour dreimal pro Woche gemacht, gewundene Straßen, steile Steigungen, gute vier glückssatte Stunden; zum Ausgleich dafür, dass die Strecke jetzt so unglückselig verkürzt wurde, Asphalt die Staubfahnen erstickt und ein Tunnel unter dem Hvalfjöröur hindurchführt, darf Jakob die Strecke in die Stadt und zurück in den letzten vier, fünf Jahren aber täglich fahren, denn wir brauchen immer mehr Dinge zum Leben. Mehr Kekse und mehr Skateboards, dünnere Strumpfhosen und neuere Fernseher, und wir geben uns nicht mehr damit zufrieden, zwei oder gar drei Tage alte Zeitungen zu lesen, die Welt verändert sich schließlich von Tag zu Tag, und nichts ist bekanntlich älter als die Zeitung von gestern, da kannst du genauso gut in die Bücherei gehen und eine aus dem 19. Jahrhundert lesen. Seltsam, wie langsam früher alles abgelaufen ist, wenn wir uns einen sechzig Jahre alten Film mit Humphrey Bogart ansehen, bekommen wir den Eindruck, damals habe eine Minute beträchtlich länger gedauert, es sei mehr Zeit zwischen zwei Ereignissen verstrichen, weshalb man sich auch noch besser in der Welt zurechtfand. Sogar die Pistolenkugeln flogen damals langsamer. Jetzt geht alles viel schneller. Filme und Clips sind so schnell geschnitten, Einstellung und Perspektive wechseln so rasant, dass man sich kaum traut, einmal mit dem Auge zu knipsen, weil man ja was verpassen könnte. Was sollen wir da mit einer Zeitung von gestern? Unsere Ungeduld aber steigert Jakobs Wohlbefinden, manchmal fährt er fünfmal in der Woche, im Winter bricht er so früh auf, dass die Sonne
Weitere Kostenlose Bücher