Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
darüber eine teure Windjacke, er knipst selten mit dem Auge, ist vierzig Jahre alt und geschieden. Aki glaubt an Zahlen und an Ordnung. Diese Religion hat seine Ehe nicht überlebt. Vollzug ehelicher Pflichten Dienstagabend, Spielen mit den Kindern mittwochs zwischen acht und halb neun. Derart war das ganze Leben eingeteilt, und ein Abweichen vom Plan kam nicht in Frage, was immer auch andere taten, denn wer sein Leben nicht im Griff hat, wird in Chaos untergehen. Am Ende hielt es seine Frau nicht mehr aus. Sie meinte, seine Ordnungssucht sei krankhaft, Ordnung halten sein ganzer Lebensinhalt geworden. Seit zwei Jahren sind sie geschieden, als Aki an einem ruhigen Herbsttag in unseren Ort kommt, das Gras welkt, die Zugvögel sind davongeflogen, geradewegs in den Horizont hinein, der Laster vom Schlachthof fährt von Bauernhof zu Bauernhof, der selbstgebaute Aufbau schwankt auf dem Chassis, die Ladefläche ist leer, wenn er den Ort verlässt, und wenn er zurückkommt voller blökender Lämmer, einiger schweigender Mutterschafe und vereinzelter mürrischer Hämmel, dabei ein Bauer, der sein Vieh begleitet. Der Laster kommt den Hang herab, am Restaurant Tekla vorbei und setzt dann rückwärts ans Schlachthaus, zwei Männer in knielangen dunkelgrünen Kitteln öffnen die Wagentür und den hintersten Verschlag und treiben die Tiere in den Stall, der manchmal auch Wartesaal genannt wird; aber lange müssen die Schafe meist nicht warten, eins nach dem anderen wird in die Gasse getrieben, die hinauf zum Schlachtplatz führt, der Schlächter, ein langer Bauernlümmel, arbeitet schnell und zügig mit dem Bolzenschussgerät, und in der Etage darüber warten schon fleißige Hände. Manchmal denken wir an die Lämmer im Pferch des Schlachthauses, wie sie noch lebenswarm blökend mit ihren blauen Augen um sich blicken, und nur ein, zwei Tage später sind sie bloß noch tiefgekühlte Rümpfe. Sie leben nur einen Sommer lang, ein einziger kurzer, heller Sommer steckt in ihren Adern, mehr nicht, dann zermalmt der Bolzen die Stirn über ihren Augen, und wir bleiben übrig und warten auf den Winter.
Die zehn Hände laden Aki zu Kaffee und Kuchen ein, drei Torten, Pfannkuchen mit Sahne, zwei Sorten Gebäck, Blechkuchen. Sie erzählen ihm vom Ort, dem ganzen Ort, von Leben und Sterben. Es gibt keinen Friedhof hier, sagen sie, nicht einmal eine Kirche. Aki sieht gut aus, das lässt sich nicht abstreiten, er ist frisch rasiert und sein aschblondes Haar ist tadellos gekämmt. Sie laden ihn noch mehrfach zum Kaffee ein, eigentlich ist er ja in ihrem Auftrag hier, sie fragen ihn nach seinen Nachforschungen, versuchen ergebnislos etwas aus ihm herauszubekommen, er öffnet lediglich die dünnen Lippen und setzt eine grimmige Miene auf; da denken sie: Jetzt steckt Elisabet in Schwierigkeiten! Nach einer Woche im Ort hat Aki zweimal bei den zehn Händen Kaffee getrunken, aber noch nicht einmal mit Elisabet geredet und keinen Fuß ins Tekla gesetzt, bestimmt will er sich der Beute vorsichtig nähern, erst Material und Beweise sammeln, sie nervlich zermürben, er hat sie von ferne beobachtet, wenn sie durchs Dorf ging.
Elisabet macht jeden Morgen einen einstündigen Spaziergang, bei jedem Wetter, selbst wenn alles andere im Sturm fliegen geht. Sie übertreibt ein bisschen, erklärt der Landrat lächelnd. Er steht mit Aki am Fenster seines Büros, und sie sehen Elisabet auf das Morgendunkel hinter dem Ort zugehen, der Laster vom Schlachthaus rattert leer die Straße entlang, hält ebenfalls auf das Dunkel zu, wobei er sich an den Bahnen seiner Scheinwerfer festklammert, um nicht verloren zu gehen, Schulbusse kommen von außerhalb, setzen die Kinder ab und fahren wieder, dann kehrt Stille ein, nichts rührt sich. Hier tut sich nicht viel, sagt Guðmundur entschuldigend. Aki sieht den Landrat mit seinen hellblauen Augen an, die nie zwinkern und aussehen wie aus Glas geblasen. Es wäre schön, wenn ich jetzt in Ruhe arbeiten dürfte, sagt er, der Landrat blickt zurück und könnte explodieren, nimmt dann aber draußen eine Bewegung wahr: Kjartan und Davið latschen zur Arbeit, Davið mitten auf der Straße, die Hände in den Taschen, in schwarzer Lederjacke und dunklen Jeans, das Gesicht wachsbleich unter der bis über die Augen gezogenen schwarzen Mütze, Kjartan hält sich auf dem Bürgersteig, geht mit schweren Schritten, nein, watschelt mit ausgestellten Füßen, vielleicht weil er so schwer ist, bei den ganzen Kilos, die sein Knochengerüst
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