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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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sie sich und warteten. Manchmal schob Munda die Buchhalterin ihr langes Gesicht zur Tür herein, um sie zu begaffen. Sie hatte ihr blondes Haar zu einem Dutt aufgesteckt, was ihr nicht gut stand, weil es ihr Gesicht noch länger aussehen ließ, aber ihr Mann, Sigmundur, will es so, er findet sie nämlich so schön, dass er Angst hat, sie würde so vollkommen unwiderstehlich, wenn sie das Haar lang und offen tragen würde, dass er sie auf der Stelle an einen anderen verlieren müsste.
    Die Uhr ging schon auf zehn zu, als endlich ein Paar vom Lande aus Guðmundurs Büro kam, der Bauer lang und dünn, die Frau klein und sehr breit, wenn man sie so nebeneinander sah, ähnelten sie verblüffend der Zahl 10. Sie trug ein recht abgetragenes geblümtes Kleid, die Augen unter dem unfrisierten braunen Haar bildeten zwei tiefe dunkle Teiche. Die zehn Hände warteten auf ein Zeichen von Asdis und marschierten dann ein. Guðmundur saß hinter seinem Schreibtisch und holte tief Luft wie jemand, auf den sich unerbittliche Naturgewalten zuwälzen.
    Wir fordern, sagten sie ohne Umschweife, dass du einen neutralen Sachverständigen beauftragst, zu untersuchen, wie Elisabet in den Räumlichkeiten der Strickerei ein Restaurant eröffnen konnte. Dabei ist es nicht mit rechten Dingen zugegangen.
    Warum vermutet ihr das, fragte er zurückhaltend in möglichst unbeteiligtem Tonfall.
    Nun, gehört das Gebäude nicht dem Staat? Wieso darf sie es da so einfach mit Beschlag belegen? Gibt es denn da keine Regeln und Vorschriften über die Nutzung solcher Gebäude, oder darf sich etwa jeder mit seinem schmuddeligen Krempel darin breitmachen? Woher hat sie außerdem das Geld? Das muss man aus ihr herausbekommen, bevor noch weiterer Schaden geschieht und sie womöglich noch tiefer sinkt.
    Der Landrat hinter seinem Schreibtisch guckt auf den Computer und fährt absichtslos ein wenig mit der Maus hin und her, er leidet noch an den Nachwirkungen des Wochenendes, mit seiner Frau hat er drei Abende in Folge im Tekla verbracht, drei Abende, das bedeutet drei Flaschen Rotwein, etliche Gläser Cognac, Bier, Geige und Mundharmonika, Harpa Guöjöns war sowohl am Freitagals auch am Samstagabend da, verdammt, was passte ihr Haar gut zu dem roten Kleid, das sie trug. Der Landrat seufzte wieder und griff nach einem Glas Wasser, die fünf Frauen beobachteten ihn genau, ihre zehn Hände verwandelten sich jedes Mal in einen Wald unheilvoll schwankender Äste, sobald sie den Namen Elisabet aussprachen. Jetzt hört doch endlich auf, sagte er schließlich und riss seine Gedanken von dieser Harpa los, ihrem Körper unter dem roten Kleid, sie bewegte sich aber auch wie eine Katze, es war ihm vorher nie aufgefallen, dann aber hatte er eine doppelt so große Ladung Cognac gebraucht, als gesund war, um sein brennendes Interesse an ihr zu betäuben. Redet doch nicht so, sie ist einfach eine tüchtige Frau.
    Tüchtig?
    Ja, tüchtig und vorausschauend. Es ist nicht strafbar, vorausschauend zu sein, und keiner hat die Redaktion unserer Bezirkszeitung so gut gemacht wie sie. Sie …
    Tüchtig, oh ja, das ist sie; ganz sicher. Tüchtig zum Beispiel darin, den Männern ihre Brüste unter die Nasen zu reiben und sie dann um den Finger zu wickeln. Ihr denkt doch bloß mit dem Pimmel, und das weiß sie ganz genau, das ist ihr völlig klar, dass ihr immer bloß an das eine denkt.
    Es ist kein Verbrechen, an Sex zu denken, hätte er beinah gesagt, und es durchlief ihn leichtes Kitzeln, als er daran dachte, dieses Wort auszusprechen, Sex.
    Wie ist sie an das Haus gekommen, um daraus eine Gastwirtschaft zu machen? Wir wollen, dass das untersucht wird.
    Sie ist meine Schwägerin.
    Wir verlangen einen unparteiischen Sachverständigen aus Reykjavik.
    Ihr macht ein bisschen viel Wind um die Sache, Leute, aus einer Mücke einen Elefanten.
    Zum Beispiel einen Juristen vom staatlichen Rechnungshof.
    Jetzt lasst aber mal gut sein, gute Frauen.
    Dann zeigen wir sie selbst an, und dich auch.
    Mich?
    Wegen Vetternwirtschaft oder Begünstigung.
    Der Landrat stöhnte. In seinem Kopf pochte es, und irgendjemand sägte darin mit einer stumpfen Säge an einer Eisenplatte herum. Er gab auf, und einige Wochen später kam Aki.

Fünf
    Ende September kommt auf einem funkelnagelneuen Ford Escort Aki in den Ort, Unterkunft erhält er im Haus des Landrats, einen Schreibtisch im Landratsamt. Er ist mittelgroß und schlank, zierlich, die Haut so dünn, dass sie durchscheint. Stets trägt er tadellose Anzüge,

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