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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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unbewegt, das Meer regt sich kaum, nur kleine Wellen überspülen ein paar Steine, die dann wieder an die Oberfläche kommen, um zu atmen. Man braucht über nichts nachzudenken, ist einfach da, lauscht, nimmt die Welt in sich auf, den stillen Morgen; Weltmächte werden zu Staub in solchen Augenblicken.
    Matthias steht früh auf, da ist nur er, die Kaffeetasse, die Zigarette, das schlummernde Meer, Eiderenten und Möwen, stillstehende Wolken. Elisabet schläft; er steht draußen und schaut auf das Meer, er geht rein und betrachtet die schlafende Elisabet, sie atmet, und am Ufer werden die Steine überspült. Er beugt sich über sie, greift in ihr Haar und lässt es durch die Finger gleiten, ihr dunkles Haar, so dunkel, dass es schwarz wirkt. Es sieht einfacher und schlichter aus, wenn sie schläft. Er geht ins Wohnzimmer, sucht einen Zettel und schreibt etwas auf. Das tut er mitunter. Sie wacht erst auf, wenn er zur Arbeit gegangen ist, und findet dann irgendwo einen kleinen Zettel, vielleicht in der Butterdose, in der Besteckschublade oder in seinen Schuhen, oder er hat etwas mit Filzstift auf den Badezimmerspiegel geschrieben: Ich tue nur zweierlei: atmen und an dich denken. Es kann dauern, bis man Filzstift von einem Spiegel wieder abgewischt bekommt, aber das ist gut so, denn es geht um wichtige Mitteilungen, die eine Art Wahrheit enthalten, einen Kern, und die in ihrer Verzweiflung schön sind. So etwas darf man nicht so hinschreiben, dass es sich leicht wegwischen lässt. Ich tue zweierlei: atmen und an dich denken. Es stimmt haargenau und ist doch purer Blödsinn oder zumindest reichlich übertrieben. Matthias tut eine Menge, er führt das Lager und ist zusammen mit Sölrün die treibende Kraft im gesellschaftlichen Leben des Ortes, wo er ist, da ist auch etwas in Bewegung, manchmal erhält er merkwürdige Sendungen von seinem Freund, dem Ethnologen, der vielleicht bald einmal zu Besuch kommen wird. Ihr werdet ihn sofort erkennen, wenn er kommt, meint Matthias. Louis ist rabenschwarz, trägt immer einen großen schwarzen Hut und eine gelbe Jacke.
    Manchmal wird er gefragt: Und dir gefällt es in diesem stupiden Leben hier? Worauf er zur Antwort gibt: Man gewöhnt sich an jeden Scheiß. Das Unglaubliche wird zum Alltäglichen und umgekehrt.
    Wahrscheinlich hat er recht, wir gewöhnen uns an alles, an Lateinträume wie an Spukgeschichten. Der Astronom lebt sein Leben außerhalb unserer Alltagswelt, da ist nur er und der Himmel, er und die Nacht, er und eine Unzahl auf Latein geschriebener Briefe aus aller Welt. Es ist in Ordnung, solche Sonderlinge hier im Ort zu haben, sie beleben den Alltag; aber vielleicht ist er gar kein Exzentriker, sondern der Einzige, der hier vernünftig denkt, mit Wissen und Verantwortung, dagegen wissen wir nicht, was wir von seinem Sohn halten sollen, der Harpas Mann die Geige um die Ohren haute, nachdem der ihm zweimal eine reingehauen hatte. Das war im
Tekla,
und Elisabet schwang schon die Bratpfanne, als Davið zuschlug. Jetzt müssen wir abwarten, was passiert. Wird sie ihren Mann verlassen und mit ihren beiden Kindern zu Davið ziehen? Wird Davið das durchhalten oder wird er es andererseits aushalten, wenn sie nicht kommt, oder wird er dann wegziehen, sich von einem an sich belanglosen Vorfall aus dem Ort treiben lassen, oder kauft er sich bloß eine neue Geige? Das Leben steckt voller Fragen, nur nicht voller Antworten. Aber es ist eine feine Sache, hier im Ort früh aufzuwachen, in einer vertrauten Welt, in der das meiste da ist, wo es hingehört, kleine Steine untertauchen und wieder an die Oberfläche kommen, um zu atmen.
    Matthias nimmt immer den gleichen Weg zur Arbeit. Den Hang hinauf, am
Tekla
und dem Landratsamt vorbei, am Gemeindezentrum und der Post. Er trägt seine Mönchskutte, sie liegt unten im Haus und atmet regelmäßig, ihr Haar ist fast schwarz. Wenn er die Kapuze aufsetzt, wirkt er erst recht wie ein Mönch oder wegen seines schaukelnden Gangs wie ein Affe. Er erscheint eine halbe oder Dreiviertelstunde vor Davið und Kjartan, knipst überall das Licht an, in seinem Büro, im Laden und in der Lagerhalle, wo die Glühbirnen über dem Kreuz und dem aufgebrochenen Fußboden in der nordöstlichen Ecke aufflammen. Er geht hin und grüßt, lässt ein paar Worte über das Wetter fallen, über politische Ereignisse oder über das, was ihn sonst beschäftigt.
    Kurz nachdem er die Stelle angetreten hatte, hängte Matthias im Laden eine große Weltkarte auf. Sie erinnert

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