Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
Kaffee spätabends, sagt sie hinter Benedikts Rücken und folgt ihm durch den Flur, die Küche liegt gleich rechts, aber er geht voran ins Wohnzimmer, das ist formeller, denkt er, und wahrt die Distanz. Es ist kein großer Raum und auch kein besonderer, er hält sich lediglich darin auf, um fernzusehen, Musik zu hören oder auch bloß dazusitzen und vor sich hin zu starren, mit dem Hund zu reden oder in der Buchreihe Unser Jahrhundert zu blättern. Eine braune Polstergruppe, Sofa und zwei Sessel, Stereoanlage mit Boxen, ein großer alter Mahagonischrank und darauf ein paar aus Holz geschnitzte Tierfiguren: Pferde, Schafe, Hunde, eine Robbe und ein Fuchs, alle ziemlich alt und abgegriffen. Seine Mutter hat sich vor gut dreißig Jahren mit so etwas die Zeit vertrieben, dann ist sie gestorben und der Vater nur wenig später, so geht es manchmal im Leben.
Das also ist das Wohnzimmer, sagt Þuriður. Sie stehen nebeneinander, als würden sie es besichtigen, er ist kaum unter eins neunzig. Sie nimmt auf der Couch Platz.
Willst du dich nicht auch setzen?, fragt sie vorsichtig.
Nein, sagt er und setzt sich in den Sessel vor dem Fernseher. So dreht er Þuríður seine linke Seite zu und muss die Augen verdrehen, um sie anzusehen.
Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich lange bleibe. Ich habe gesagt zehn Minuten, und in der Regel halte ich mich an das, was ich sage, das ist so eine Art Hobby von mir. Sie lächelt, große, gerade Zähne, rote Lippen, er aber guckt nur geradeaus, will nicht zu ihr hinsehen, das könnte sie als Interesse missverstehen, außerdem schielt er selten seitwärts wegen seiner großen Nase, die aus seinem Gesicht vorragt wie eine wichtige Ankündigung. Manchmal kann er seine eigene Nase nicht ausstehen. Wenn er einfach nur geradeaus guckt, nimmt er sie kaum wahr, aber sobald er die Augen zur Seite dreht, ist sie da, rot, hässlich und riesengroß. Das ist der eigentliche Grund, weshalb Benedikt immer nur schnurstracks geradeaus blickt, aber es hat ihm früh den Ruf eingetragen, entschlossen, selbstsicher und willensstark zu sein.
fmriöur: Du kommst nicht oft ins Gesundheitszentram.
Der Hund kommt von draußen, Benedikt hat die Tür einen Spalt weit offen gelassen. Auf Parkett kommen Hunde nicht besonders gut zurecht, weil sie die Krallen nicht einziehen können. Tip, tip, tip hört man den ganzen Flur entlang. Sie lauschen beide und sehen zur Tür, dann kommt der Hund herein, er ist schwarz und im besten Alter. Hunde sind nicht an Benimmregeln gebunden oder an höfliche Konventionen, die das Leben verkomplizieren. Er kommt einfach rein, schnüffelt durch die dünne Strumpfhose an fmriöurs Zehen, streckt dann den Kopf vor und erwartet, gestreichelt zu werden. Benedikt ist sehr unzufrieden mit ihm. Sie schweigen. Þuríður widmet sich dem Hund, Benedikt guckt vor sich hin. Gerade jetzt kann er sich nichts Schöneres vorstellen, als mit seinem Hund allein zu sein, vielleicht einen Kaffee aufzusetzen und Patience zu legen.Zehn Minuten sind jetzt rum, platzt es auf einmal aus ihm heraus, als würde er zum Fernseher sprechen, aber mit einem Fernsehapparat zu reden, bringt kaum was, den interessiert nicht, was wir zu sagen haben. Das sollte man sich klarmachen, ehe man ihn einschaltet.
Tja, dann gibt es wohl nichts mehr, worauf wir noch warten sollten, sagt sie fast fröhlich, nimmt den Kopf des Hundes in beide Hände, drückt einen Kuss darauf und steht auf, der Hund sieht zu ihr auf, als wäre er bereit, jederzeit sein Leben für sie zu opfern.
Und, war das jetzt so schlimm?, fragt sie lächelnd und blickt Benedikt frontal ins Gesicht. Jetzt sieht er die Zähne zwischen ihren Lippen, diesen Lippen, die ihm in sein linkes Ohr geflüstert haben, rote Lippen, ihre Augen aber sind intensiv blau unter ihrem dunklen Haar. Þuríður geht in den Flur, der Hund läuft ihr nach, Benedikt auch, verflucht den Hund, verflucht ihre Augen. Sie hat lange Beine, das ist gut zu sehen, als sie in die hohen Stiefel schlüpft, lang, aber nicht so dick, wie er es bei einer so kräftigen Frau erwartet hätte.
Ich werde selten krank, sagt er, sie braucht ein Weilchen, bis sie begreift, dass er jetzt auf ihre Bemerkung von vorhin antwortet.
Dann hast du Glück, gibt sie zurück und streift den grünen Anorak über, sie zieht sich rasch und umstandslos an, dunkles Haar, grüner Anorak. Dann schaut sie ihm zum zweiten Mal direkt in die Augen, wieder sind da diese intensiv blauen Augen, sagt noch: Schlaf gut!, und ist
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