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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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schon draußen im Regen auf dem Weg zu ihrem Wagen.
    Deine Tasche!
    Er ist auf Socken und bohrt seinen großen Zeh in ihre Reisetasche.
    Ich hole sie demnächst ab, sagt turiöur über die Schulter, und Benedikt hat noch nie eine so großgewachsene Frau von seinem Hof gehen gesehen. Schon sitzt sie im Auto, der Motor startet, jetzt ist es zu spät, etwas zu sagen, da steht er mit ihrer Tasche, guckt dem Auto nach, wie die roten Rücklichter in der Dunkelheit verschwinden, im dichten Nieselregen, und er steht im Türrahmen, der Hund draußen auf dem Hof.

Zwei
    Wir müssen alle mal zum Arzt oder zur Apotheke, wenn nicht unseretwegen, dann mit den Kindern, zur Vorsorgeuntersuchung, wo sie gewogen und gemessen werden; schon werden wir einsortiert, klassifiziert, zu einem Punkt auf einem Diagramm, gemäß einem Durchschnitt standardisiert, bekommen gegen alles Spritzen, nur nicht gegen Trauer, Enttäuschungen und den Tod. Benedikt hat keine Kinder, was er bedauert; wer Kinder hat, kann zum Himmel zeigen und sagen: Das da ist die Venus, und das ist Jupiter, und da er selbst nur selten krank wird, hat er auch selten Anlass, das Gesundheitszentrum aufzusuchen, in dem fmriöurs Anwesenheit so zu spüren ist. Aber auf dem Silvesterball hat er mit ihr getanzt, sie hat ihm etwas ins linke Ohr geflüstert und ist dann auf seinem Hof aufgetaucht, in so dunklem Regenwetter, dass sich die Welt selbst abhandengekommen war. Sie kam und ging wieder, und er hatte niemals eine so großgewachsene Frau von seinem Hof gehen gesehen. Nein, noch nie, sagte Benedikt im Frühjahr zu seinem Hund, als die Helligkeit den Unterschied zwischen Tag und Nacht auszulöschen begann, die Sterne langsam verblassten und verschwanden, und über den Horizont Abertausende von Zugvögeln angeflogen kamen, Jónas zog gleich wieder los, mit dem Zeichenblock ins Heideland, mit dem Feldstecher hinab zum Strand, die Wiesenhöcker wurden allmählich grün – und Benedikt rief seine ehemalige Frau an. Um vier Uhr in der Nacht, ruhiges Wetter, die Welt schien sich auszudehnen. Er war draußen unterwegs gewesen, unter einem hellen Himmel, er hatte sich an die Stille gelehnt, zugesehen, wie Lämmer zur Welt kamen, ein Bier getrunken, und war auf einmal betrunken gewesen, er ging ins Wohnzimmer, hörte Musik, spielte Fjöllin hafa vakaö von Ego mindestens fünfmal und sehr laut und ging dann wieder hinaus in die Stille. Soll ich Loa mal anrufen?, fragte er den Hund, der keine bestimmte Meinung dazu hatte. Na gut, dann probier ich’s mal, sagte Benedikt eine halbe Stunde später. Er staunte, wie undeutlich sich seine Stimme am Telefon anhörte, seine Gedanken waren völlig klar, aber die Worte fielen ihm auf der Zunge fast auseinander, die sich pelzig anfühlte wie Wolle. Und dann nahm nicht sie den Hörer ab, sondern irgendein Kerl, sie schien jetzt mit jemandem zusammenzuwohnen, Benedikt hätte lieber gar nicht davon erfahren, aber da war nun dieser Typ und hielt ihm vor, Loa dann auch, aber er ganz besonders, dass es mitten in der Nacht sei und er sie geweckt hätte. Benedikt warf dem Hund einen Blick zu und schüttelte den Kopf, denn es war so abartig, dass es einem einfallen konnte, jetzt zu schlafen, wo das Licht nur so vom Himmel herabströmte und das Gras in aller Stille grün wurde. Das erwähnte er anfangs erst gar nicht, sondern meinte nur, das Lammen liefe gut.
    Schön, mein lieber Benedikt, sagte Loa.
    Es ist gerade unglaublich schön hier, fuhr er fort, konnte es nicht länger zurückhalten. Er stand am Küchenfenster, die Telefonschnur war lang genug, die Türen standen weit offen, damit die Nacht ungehindert hereinkam.
    Ich habe alles aufgerissen, sagte er, würde am liebsten noch das Dach abdecken, wer kommt auch schon auf den Gedanken, ein Dach über dem Kopf zu haben, wenn die Nacht so …, na ja, eben so ist, sagte er und machte eine ausholende Geste mit der Rechten, die er selbst so überzeugend fand, dass er sie gleich noch einmal wiederholte. Doch leider war Löa nicht da, sondern nur ihre Stimme, so vermag die Nacht einen zu täuschen, und seine gelungene Geste brachte daher wenig bis nichts, denn Löa fragte: Hast du was getrunken? Gab sich dann selbst die Antwort: Du bist betrunken.
    Nur zwei, drei Bier, antwortete er kleinlaut und vermied es sorgfältig, zu den Bierdosen hinzugucken, die er auf der Spüle zu zwei Türmen aufgestapelt hatte, sechs Halbliterdosen, gar nicht zu reden von dem Glas Wodka, das er noch gekippt hatte, um die Idee,

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