Sommerliebe
ansehen.«
»Ilse«, wischte Heinz diese Worte von ihr weg, »die sind mir egal.«
»Mir nicht so ganz.«
»Hast du nicht auch gerade heute nacht den Eindruck gewonnen, daß wir jede Stunde, die uns noch bleibt, genießen sollten?«
Ilse schwieg. Auf der einen Seite appellierte sie innerlich dauernd an sich selbst, nicht auf die Einflüsterungen ihres Herzens zu hören, auf der anderen Seite lockte es sie übermächtig, ihre Reserviertheit über Bord zu werfen und für Heinz Bartel das zu sein, was sie schon längst sein wollte: sein nur ihm ergebenes, ihn liebendes Mädchen. Dieser Zwiespalt machte ihr eine Entscheidung schwer. Sie war sich selbst ein Rätsel geworden. Sie wußte nicht mehr, was sie eigentlich wollte. Nicht mehr sie selbst verfügte über sie, ein anderer mußte wohl in ihr Herz eindringen und dort einmal für klare Fronten sorgen. Ilse stellte sich ihr Inneres als eine wüste Rumpelkammer vor, in der ein Mensch namens Ilse Bergmann verlorengegangen war und nun nach sich selbst absolut vergeblich auf der Suche war. Ilse Bergmann suchte Ilse Bergmann, sie suchte … und suchte … und suchte …
Da war nun dieses übermächtige Gefühl, das sie zu Heinz Bartel hinzog. Ilse war beileibe kein schwacher Mensch, sondern eine ausgeprägte Persönlichkeit; trotzdem spürte sie, daß Heinz stärker war als sie. Gut so, sagte sie sich, ein Mann soll der Dominierende sein, nicht der Unterlegene. Recht so, aber …
Was aber?
Sie wußte es nicht. Eine Bremse war ihr Stolz. Sie ängstigte sich selbst vor jedem Schritt, der so aussehen konnte, als ob sie sich einem Mann an den Hals werfen wollte. Keinem Mann würde sie sich je an den Hals werfen. Sie nicht!
Das war also ihr Stolz …
Es gab aber auch noch etwas anderes, an das zu denken ihr schon Pein bereitete, seit Heinz Bartel in ihr Leben getreten war.
Und noch etwas: Kam zu allem nicht auch der leise Zweifel, ob es Heinz mit dem, was er ihr schon gesagt hatte, auch ernst genug meinte? Spielte er nicht nur mit ihr? War sie für ihn nicht nur der Gegenstand eines Sommerflirts? Den Männern war doch diesbezüglich alles zuzutrauen.
Andere, grundlegend andere Gedanken hegte Heinz Bartel. Er belastete sich nicht mit langen Analysen seiner Seele. Für ihn stand es fest, daß dieses hinreißende Mädchen Ilse etwas anderes war als die Mary in Köln, die Hedwig in Bonn, die Luise in Koblenz und die Lulu in Krefeld. Kein Zweifel, daß Heringsdorf einer Wende seines Lebens gleichzusetzen war, welche die Überschrift trug: ›Ade, Junggesellendasein!‹
Das gebar aber schon die alles überschattende Frage, worauf ein Heinz Bartel eine Ehe aufbauen sollte. Sein Einkommen war noch viel zu spärlich, um für eine Familie auszureichen. Kommt Zeit, kommt Rat, sprach sich der junge Dichter selbst Mut zu.
Und wenn alle Stricke rissen, hatte er ja immer noch einen Vater, der nicht ganz arm war, im Rücken.
»Heinz«, sagte Ilse, »du bist der Ansicht, daß wir jede Stunde genießen sollten?«
»Ja.«
»Warum seufzt du dann ständig?«
»Ich seufze?«
»Du läufst nun schon minutenlang wortlos neben mir her, aber ich höre dich seufzen.«
»Das wurde mir gar nicht bewußt.«
»Was bedrückt dich?«
Heinz zögerte nicht lange und antwortete: »Also gut, du sollst es wissen: Ich habe, wie du weißt, keine Existenz und brauche möglichst bald eine.«
»Warum so eilig?«
»Um dich und unsere zwei Töchter zu ernähren.«
»Heinz«, sagte Ilse rasch, »sei so gut und hör auf mit dem Quatsch von heute nacht.«
»Nein, Ilse, das tue ich nicht. Für mich war das kein Quatsch.«
»Der wahrsagerische Unsinn einer Barsängerin?«
»Wahrsagerischer Unsinn hin, Unsinn her – ich bin entschlossen, daraus Realität zu machen.«
»Dazu gehören zwei.«
»Ganz recht – ich und du.«
Ilse kam sich überfahren vor, sie liebte das nicht. Heinz war ihr im Moment zu forsch. Sie mochte es nicht, von jemandem – in welchem Zusammenhang auch immer – sozusagen ›in den Sack gesteckt zu werden‹. Gerade in der Liebe erwartete sie Subtilität und nicht Draufgängertum.
»Man sieht«, sagte sie zu Heinz, »du bist kein Preuße.«
»Stört dich das?«
»Vielleicht.«
»Warum?«
»Bekanntlich sagt man von den Preußen, daß sie nicht so schnell schießen.«
»Und? Was hat das mit mir zu tun?«
»Ich schätze diese Eigenschaft. Dir fehlt sie anscheinend.«
Ilse traf damit Heinz mehr, als sie eigentlich wollte. Er war deshalb nun ziemlich geknickt. Die von ihr
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