Sommerliebe
Tage des Kurzurlaubes abgelaufen waren. Als ihm endlich das Glück zu lächeln schien in der Form, daß ihm seine militärische Einheit eine Kommandierung nach Potsdam in Aussicht stellte, warf ihn kurz zuvor eine russische Kugel nieder. Sein linker Arm war zerfetzt. Zum Glück für Heinz fanden sich im Lazarett Militärärzte, die nicht kurzerhand den Arm amputierten, sondern ihren Ehrgeiz dareinsetzten, ihn dem Verwundeten zu erhalten. Das war ein Prozeß von Monaten, und der Erfolg hielt sich leider sehr in Grenzen.
Als Heinz Bartel aus dem Lazarett entlassen wurde, war er ein Krüppel (alias ein Schwerbeschädigter). Sein linker Arm sah schlimm aus, er hatte Ähnlichkeit mit einem großen verknöcherten Fragezeichen. Aber daran – so schrecklich das klingt – gewöhnt man sich. Was weit schmerzhafter an Heinz nagte, war plötzlich wieder etwas anderes. Seit einem halben Jahr war Ilse aus seinem Leben getreten. Ganz still, ohne Aufwand, ohne große Worte, es war einfach Schweigen um sie, tiefes Schweigen …
Vielleicht ewiges Schweigen?
Heinz wurde von der Angst gepackt, wenn er daran dachte. Ilse tot? Umgekommen bei einem Angriff auf Berlin? Ein Opfer des Grauens, das zum Himmel schrie?
Da, an einem Tage, der so trist begann wie alle anderen, brachte man dem Krüppel Heinz Bartel einen Brief, der vor Monaten geschrieben und ihm von Front zu Front nachgeschickt worden war, um ihn endlich hier in einem kleinen westfälischen Dorf zu erreichen, ihn, einen Mann, der inzwischen ergraut war und die letzten Illusionen vom Leben begraben hatte.
Aber war auch noch Krieg um ihn, brüllte die Erde auf unter dem Bersten der Geschosse, wirbelten Fontänen von Sand, Blut und zerfetzten Leibern empor, er lächelte dennoch, der grauhaarige, absolut desillusionierte Krüppel und las den Brief seiner Ilse, den Brief, der so lieb war, so wahrhaftig, so einfach, so gar nicht voller Geist oder Witz, aber so voller Seele und … ja, voller Ilse.
»Mein lieber Heinz,
jetzt in diesem Moment, in dem er die Feder in die Hand genommen hat, sitzt jemand in einem kleinen Oderbruchdorf und hat ein furchtbar schlechtes Gewissen. Na, und diesen ›Jemand‹ dürften wir zwei ziemlich gut kennen, nicht?
Lieber, guter Heinz, bitte nicht schimpfen, nicht böse sein. Ich hatte wirklich und wahrhaftig die feste Absicht, Dich zu besuchen, doch da wurde eine Verwandte krank und alle meine Pläne mußten zurückstehen, sie schwammen die Oder hinab. Ich hätte natürlich in der Zwischenzeit schreiben müssen, es gibt dafür keine Entschuldigung – auch nicht Zubilligung mildernder Umstände – nichts, nichts! Kannst Du mir trotzdem noch einmal verzeihen?
Diesmal ist die Reihe, so zu fragen und mit reumütigem Herzen vor Dir zu stehen, an mir. Ich komme nicht drum herum, Dir zu gestehen, daß ich einfach nicht in der Stimmung war, zu schreiben. Ich habe in der ganzen Zeit nicht einen einzigen Brief versandt. Zum Schreiben zwingen will ich mich grundsätzlich nicht, weil ja dabei doch nichts Gescheites herauskommt. Wie ich Dich kenne – oder zu kennen glaube (?) –, müßtest Du dafür eigentlich Verständnis aufbringen. Du bist doch Schriftsteller.
Ja, und in diesem Zusammenhang laß mich Dir berichten, daß ich mich vor einiger Zeit erst einmal hingesetzt und gestaunt habe. Donnerkeil – Heinz Bartel ist Soldat und Kriegsberichterstatter! Als ich das las, habe ich, glaube ich, ein ziemlich verdutztes Gesicht gemacht. Soldat ja, dachte ich, das ließ sich wohl nicht vermeiden. Aber Kriegsberichterstatter? Kriegsberichterstatter nein, dachte ich. Das hätte nicht sein müssen. Du weißt, was ich damit sagen will. Schwamm drüber, Du mußtest wissen, was Du tust. Vielleicht hat man Dich auch mehr oder minder zu dieser Fähigkeit gezwungen.
Jede freie Stunde, schreibst Du mir, arbeitest Du für Dich. Für Deine Ambitionen. Auch nachts. Das ist Wahnsinn. Ich muß mit Dir schimpfen. Damit hörst Du auf, verstanden! Das kannst Du auf die Dauer nicht aushalten. Nachts soll der Mensch etwas anderes tun – oh, Heinz, ich spüre, wie ich rot werde bei dem Gedanken, was der Mensch nachts tun soll, und ich werde erst recht rot, wenn ich daran denke, was Du denkst, daß ich mir beim Schreiben desselben gedacht habe. Pfui, Heinz, Du darfst mich nicht beleidigen, indem Du so etwas denkst!
Ich möchte nur wissen, warum mir in diesen Augenblicken ausgerechnet ein mir völlig fremder Kerl einfällt, mit dem ich noch nie ein Wort gewechselt habe, von
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