Sommerliebe
dir schon zu alt vor, sage ich dir.«
Im Tanzen und Singen erschöpften sich aber Ilonas Fähigkeiten noch nicht. Sie konnte auch noch wahrsagen und handlinienlesen. Zu sehr vorgerückter Stunde gab sie das bekannt und erregte damit am Tisch einen kleinen Sturm der Begeisterung. Sie schien eben ihr Blut doch nicht verleugnen zu können.
Rolf streckte spontan seine Hand Ilona hin, Inge und Ilse taten dasselbe zugleich auch. Nur Heinz schloß sich davon aus, er hielt nichts von solchem ›Humbug‹. Gerade dadurch fiel er Ilona zum Opfer, die zu ihm sagte: »Sie haben wohl etwas zu verbergen?«
»Ich passe zugunsten meiner Freunde«, entgegnete er.
»Fälle wie Sie sind die interessantesten«, ließ Ilona nicht locker.
»Ach nein?«
Ilona wandte sich an die anderen.
»Er scheint wirklich etwas zu verbergen zu haben.«
»Jede Menge, ich weiß es«, spaßte Rolf.
»Ich kann mir schon denken, was«, schloß sich Inge an.
Relativ ernst ergänzte Ilse: »Es wird mit einem Mädchen in Köln zusammenhängen.«
Und damit war die Entscheidung gefallen.
»Bitte«, sagte Heinz zu Ilona und präsentierte ihr seine umgedrehte offene Hand. Es war aber die linke, und Ilona verlangte die rechte, denn die käme ›vom Herzen‹.
Dann ging's los. Auch Ilse und Inge, noch mehr jedoch Rolf, hielten sich etwas darauf zugute, aufgeklärte Menschen zu sein, und zeigten deshalb Mienen, in denen sich Amüsement und Skepsis mischten. Trotzdem konnten sie aber ihre Spannung nicht verleugnen, mit der sie Ilonas Treiben verfolgten.
Die Ungarin hatte sich über die Hand von Heinz gebeugt. Scharfe Falten der Konzentration gruben sich in ihre Züge. Sie versteht es jedenfalls, dachte Rolf, sich den Anschein von Seriosität zu geben. Ob man will oder nicht, muß man das zugeben.
»Sie sind Kölner«, sagte Ilona, aus der Hand von Heinz aufblickend.
Du liebe Zeit! dachte Rolf, und in der Tat, imposanter Beginn war das keiner. Jeder konnte hören, woher sie – Heinz und er – kamen, wenn sie den Mund aufmachten. Rheinländer, vornehmlich Kölner, sind nicht imstande, ihren Dialekt zu verleugnen, auch wenn sie sich noch so sehr anstrengen, dies zu tun.
»Sie waren schon einmal sehr krank«, fuhr Ilona fort.
»Nein«, bestritt Heinz das.
»Doch.«
»Glauben Sie nicht, daß ich das wissen müßte?«
Ilonas Blick richtete sich wieder auf sein Gesicht.
»Viele wissen das nicht, Heinz.«
»Nun gut, es gibt versteckte Krankheiten, die man mit sich herumträgt, aber was mich angeht –«
Ilona schnitt ihm das Wort ab, indem sie wiederholte: »Sie waren schon einmal sehr krank – als Kind«, setzte sie hinzu.
»Sie haben doch wohl nicht die Masern im Auge?« spottete Heinz.
»Machen Sie sich über die Masern nicht lustig, mein Freund. Diesen Fehler begehen die meisten. Die Masern sind keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Kinder daran früher gestorben sind.«
»Früher«, sagte Heinz.
»Ändert das etwas an der Wahrheit meiner Worte? Heute stirbt auch keiner mehr an der Pest. Wollen Sie deshalb behaupten, daß die Pest eine leichte Krankheit ist? Verstehen Sie, was ich sagen will?«
Da Heinz schwieg, mischte sich Rolf, der Arzt, ein.
»Ilona hat recht. Das gleiche gilt für den Scharlach und noch mehr für die Diphtherie.«
»Ich hatte alle drei«, gab Heinz zu.
Nun war es an Ilona, zu spotten.
»Alle drei hatte er«, sagte sie und nickte dazu ausdauernd. »Masern – Scharlach – Diphtherie … Und dann will er nie ernsthaft krank gewesen sein. Das erinnert mich an meinen Großvater. Der starb mit 41 Grad Fieber und sagte fünf Minuten zuvor noch: ›Mir fehlt nichts. Was sind 41 Grad! Ich kämpfte als Fremdenlegionär in der Sahara, da hatten wir 54 Grad!‹«
»Wenn das stimmt«, kam Heinz wieder einmal auf sein großes Idol zurück, »war Ihr Großvater ein mit Karl Valentin im Geiste Verwandter.«
Ilona beugte sich wieder über seine Hand, die sie nicht losgelassen hatte. Wer Karl Valentin war, wußte und interessierte sie nicht. Instinktiv hielt sie ihn für einen Mann, der in der Familie von Heinz oder von Rolf oder jedenfalls in Köln irgendeine Rolle spielte. Sie hielt sich nicht auf damit.
»Merkwürdig«, sagte sie als nächstes.
»Was?« fragte Heinz.
»Sie fühlten sich ursprünglich nur zu Männern hingezogen.«
»Überhaupt nicht!« rief Heinz spontan. Das kam daher, weil er und Rolf schon einmal gefragt worden waren, ob die übertriebene Freundschaft zwischen
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