Sommermaerchen
blickte er sie an. „Wer ist Ihre Tante, wenn ich fragen darf?“
„Lady Sinclair ...“
Er hustete hinter vorgehaltener Hand.
Beatrice lachte und fuhr fort: „Sie ist gar nicht so unfreundlich, gleich, was Sie vielleicht von ihr gehört haben mögen.“
„Das ist keine Frage des Hörensagens, Miss ... Sinclair, richtig?“
„Oh, entschuldigen Sie, dass ich Ihnen meinen Namen noch nicht genannt habe. Ich heiße Beatrice Sinclair.“
Charles stand lächelnd auf und bot ihr seine Hand, um ihr aufzuhelfen. Er hätte sich ihr vorstellen sollen, aber im Augenblick zog er es vor, dies nicht zu tun, um sich einen Vorteil zu bewahren. „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Miss Sinclair.
Ich bin übrigens im Nachbarhaus aufgewachsen, daher weiß ich aus erster Hand, dass Ihre Tante ihren Ruf wohlverdient hat. Wenn wir als Kinder einmal versehentlich einen Ball über ihren Zaun geworfen haben, bekamen wir ihn nie zurück.“
„Ach, tatsächlich?“
„Ja. Ich glaube, sie hat sie gegessen.“
Beatrice lachte. „Sie mag Kinder nicht sehr, das stimmt. Ich wünschte, sie hätte eigene Kinder, dann würde sie mir das Leben vielleicht nicht so schwer machen.“
Charles hob fragend eine Augenbraue, und sie fuhr erklärend fort. „Meine Tante hat mich sozusagen in dieser Saison unter ihre Fittiche genommen.“
„Ist dies Ihre erste Saison?“
„Nein. Es ist mir zwar verhasst, dies einzugestehen, aber es ist bereits meine vierte.“
Kaum waren die Worte aus ihrem Mund, wünschte sich Beatrice errötend, sie hätte die Anzahl der Jahre verschwiegen. „Bitte entschuldigen Sie“, sagte sie. „Ich möchte Sie nicht langweilen. Ich rede immer zu viel, deshalb komme ich auch stets zu spät.
Aber jetzt muss ich mich verabschieden. Ich sollte schon längst mit meiner Tante auf einem Ball weilen. Allein meinetwegen ist sie überhaupt hingegangen, daher sollte ich auch dort sein, nicht wahr?“ Sie wusste, dass sie Unsinn plapperte, konnte es aber nicht verhindern. Die Art, wie er sie anschaute – teils interessiert und teils ... sie wusste nicht, wie – brachte sie völlig aus der Fassung.
„Kommen Sie zu Lady Teasdales Ball zu spät?“, fragte Charles.
„Ja, waren Sie dort? Ist es arg grässlich?“
Ein wohlwollendes Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen. „In der Tat, das ist es, und meiner Ansicht nach versäumen Sie nicht viel.“
Sie lächelte bedauernd. „Das habe ich mir gedacht.“
Schweigend ließ er den Blick langsam über ihren Körper wandern, und Hitze wallte in ihr auf. Bei seinen nächsten Worten tanzten Schmetterlinge in ihrem Bauch.
„Vielleicht können wir eine angenehmere Art ersinnen, den Abend zu verbringen?“
Einen Augenblick lang verlor sich Beatrice in seinen grünen Augen, konnte nicht reden, sich nicht bewegen, nicht einmal atmen. Ihr wurde ganz schwindelig.
Charles trat einen Schritt näher, den Blick erneut auf ihren Mund gerichtet. „Haben Sie einen Vorschlag?“, fragte er und senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern.
Sie trat einen Schritt zurück und rüttelte sich im Geist wach. „Ich muss jetzt gehen, Sir.“
Er lächelte. „Zu schade.“
Beatrice nickte und errötete sogleich, als ihr bewusst wurde, dass ihr Nicken einen falschen Eindruck erwecken musste. „Guten Abend“, sagte sie bemüht nüchtern.
„Guten Abend“, erwiderte Charles, ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf.
Scharf zog sie den Atem ein, als er den Kopf über ihre Hand beugte. Ihre Handschuhe lagen immer noch auf dem Gehweg; sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sie anzuziehen.
„Meine Handschuhe“, sagte sie verlegen.
Charles gab ihre Hand frei und bückte sich, um die Handschuhe aufzuheben. Den Blick unbeirrt auf ihr Gesicht gerichtet, reichte er sie ihr.
Beatrice griff rasch danach, dann suchte sie, ohne sich zu bedanken oder auf Wiedersehen zu sagen, rasch Zuflucht in ihrer Kutsche.
Beatrice hatte sich noch nie zuvor so verlegen oder aus der Fassung gebracht gefühlt. Noch dazu schweiften ihre Gedanken immerzu auf verbotene Wege ab.
Unaufhörlich musste sie an den verwegen gut aussehenden Gentleman mit den breiten Schultern denken ... Einen verwegen gut aussehenden Gentleman, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, sich vorzustellen, wie es sich ziemte, stellte sie verstimmt fest.
Die ganze Fahrt zu Lady Teasdale zerdrückte sie unruhig ihre Handschuhe in den Händen. Als die Kutsche schließlich hielt, war Beatrice ein Nervenbündel. Die
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