Sommermaerchen
Laut sagte er:
„Vertrau mir einfach.“ Er hatte Gewissensbisse, weil er Beatrice so schlecht machte, aber er wusste nicht, wie er Jack sonst von ihr fernhalten sollte. Seit er erfahren hatte, dass sein Freund die Einladung zur Dinnerparty angenommen hatte, überlegte er, wie er eine Begegnung zwischen ihm und Beatrice verhindern konnte. Jack sah gut aus, war charmant. Die Frauen lagen ihm zu Füßen und machten sich seinetwegen ständig zu Närrinnen.
Jack lehnte sich zurück und schwenkte sein Glas. „Worüber wolltest du mit mir sprechen?“
Charles hatte nichts mit ihm zu bereden, es war ihm nur darum gegangen, ihn von Beatrice wegzulotsen. Aber sie hatten sich lange nicht gesehen. „Es ist inzwischen beinahe drei Jahre her“, sagte er nachdenklich.
„Nach deinem Weggang war es nicht mehr dasselbe.“
„Ich hatte keine andere Wahl“, erwiderte Charles abwehrend. „Wären mein Vater oder mein Bruder noch am Leben, wäre es anders, aber nach dem, was geschehen ist, musste ich an Mutter und Lucy denken. Zwar bin ich nie der perfekte Sohn gewesen, aber ...“
Jack nickte. „Du musst mir nichts erklären. Ich hätte dasselbe getan. Wie geht es übrigens deinem Hals?“
Charles hob die Hand zu der Narbe an seiner Kehle. „Ist längst verheilt.“
„Richard Milbanks ist vermutlich tot.“
Charles’ Miene blieb unergründlich. „Das dachte ich mir.“
Jack nickte. „Sein Schiff ist gesunken. Aber selbst wenn dem nicht so wäre, müsstest du dir keine Sorgen machen. Der Verräter darf englischen Boden nie wieder betreten.“
Charles schwieg. Er wollte nicht darüber sprechen. Milbanks und er hatten gemeinsam für das Kriegsministerium Schmuggler aufspüren und festnehmen sollen.
Charles hatte ihm sein Leben anvertraut. Eines Abends entdeckten sie ein unbekanntes Schiff, ihr Schiff war bereits mit konfiszierter Ware voll beladen. Es hätte eine Routineinspektion werden sollen, deshalb war er nicht besonders wachsam gewesen. Ganz sicher hatte er nicht damit gerechnet, dass Milbanks plötzlich ein Messer ziehen und versuchen würde, ihm die Kehle aufzuschlitzen. Es wäre dem Schuft sogar beinahe gelungen. Während er blutend auf dem Deck lag, wurde die Ware auf das andere Schiff umgeladen, und Charles sah, wie auch Milbanks auf das andere Schiff ging. Vermutlich war er zu der Ansicht gelangt, dass Schmuggel profitabler war, als Schmuggler aufzugreifen. Hilflos musste Charles zusehen, wie dieser Schuft entkam.
In jener Nacht wäre er beinahe gestorben. Am liebsten hätte er Milbanks bis ans Ende der Welt gejagt, um ihn der Gerechtigkeit zuzuführen. Allein dass er dabei sein Leben erneut aufs Spiel setzen musste und diesmal möglicherweise nicht solch großes Glück haben würde, hielt ihn davon ab. Seine Familie wusste nicht, dass er dem Tod nur knapp entronnen war, und er musste für sie sorgen.
Das redete er sich jedenfalls ein. Seine wahren Beweggründe waren indes viel komplizierter. Der Mordversuch hatte ihm arg zugesetzt, und wenn er sich auch einen Feigling schimpfte, so fürchtete er sich doch vor dem Tod ... Und vor Milbanks’
Rache, drohte ihm doch wegen des Angriffs der Galgen.
Zwar hatte Charles ebenfalls gehört, dass Milbanks’ Schiff gesunken sei, doch seine Leiche war nie gefunden worden. Er konnte dieses Erlebnis erst hinter sich lassen, wenn er die Gewissheit hatte, dass sein Feind tot war.
„Charles?“
Er schaute auf. „Tut mir leid.“
„Ich sagte, ich könnte vielleicht einen Beweis für seinen Tod finden.“
Charles überlegte. Die Gewissheit über Milbanks’ Tod würde ihm Seelenfrieden verschaffen, stellte sich allerdings heraus, dass er noch am Leben war, würde dies seine Unruhe nur vergrößern. Da blieb er lieber im Ungewissen.
„Nein, Jack. Das liegt in der Vergangenheit.“
„Wenn dem so ist, macht es dir gewiss nichts aus, wenn ich einige Briefe schreibe und mich erkundige, ob seine Leiche inzwischen gefunden wurde.“
Es machte ihm sehr wohl etwas aus, aber das konnte er Jack nicht anvertrauen, ohne ihm seine Gründe zu nennen. Knapp sagte er: „Nein, es macht mir nichts aus. Tu, was du möchtest.“
Jack entging das Unbehagen seines Freundes nicht. „Verstehe. Wollen wir uns wieder zu den anderen begeben?“
Geistesabwesend nickte Charles. Er war nicht in Stimmung, Konversation zu machen.
Am liebsten wäre er nach Hause gegangen und hätte Beatrice mitgenommen.
Als sie in den Salon zurückkehrten, begaben sich die Gäste gerade ins
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