Sommermaerchen
entfliehen. Rasch schloss sie die Tür zum Ballsaal und lehnte sich aufatmend dagegen.
Dieser Gefahr bin ich entronnen, dachte sie. Jetzt muss ich bloß noch versuchen, auch der anderen Gefahr zu entgehen ...
„Warum bist du nicht im Saal?“
Verflixt. Verflixt. Verflixt.
Sie wirbelte herum. Seit ihrer Begegnung am frühen Nachmittag hatte sie Charles nicht mehr gesehen. Nun stand er in voller Größe vor ihr, lehnte sich an die Wand und blickte sie herablassend an. Bemüht, sich von ihm nicht durcheinanderbringen zu lassen, trat sie einen Schritt zurück.
„Das ist doch mein Zuhause. Ich könnte dir die gleiche Frage stellen.“
Charles zuckte gleichgültig die Schultern. Er hatte es vorgezogen, den Ballsaal zu verlassen, weil er es nicht länger ertragen konnte zu sehen, wie Asher um Beatrice herumscharwenzelte. Das aber würde er ihr gewiss nicht anvertrauen. „Mir ist nicht nach Tanz zumute. Und jetzt beantworte bitte meine Frage.“
In schnippischem Ton fragte Beatrice: „Wie lautete sie gleich?“
Er trat einen Schritt näher. „Ich wollte wissen, warum du nicht im Saal bist, Beatrice.“
Ihre Forschheit schwand viel zu rasch. „Mir war nach frischer Luft, jetzt gehe ich wieder hinein.“
„Mir scheint vielmehr, du wolltest dich verstecken“, erwiderte Charles und trat noch einen Schritt näher.
Kopfschüttelnd wich sie zurück.
„Dein Kavalier wartet gewiss ungeduldig auf dich, holde Beatrice. Willst du nicht mit ihm tanzen?“, fragte er zynisch lächelnd.
Sie antwortete nicht. Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du dich verlobt hast.“ Seine Stimme glich einem heiseren Flüstern. „Ist das wahr?“
Sie schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Das heißt, nein.“
„Ich frage mich, was wohl passieren wird, wenn man dich hier entdeckt – allein mit mir?“ Er stand direkt vor ihr, der eindringliche Blick seiner grünen Augen schien sich geradezu in ihre Seele zu bohren. Sanft strich er ihr über die Wange, und sie keuchte auf.
Ihr Keuchen ließ Charles die Kontrolle verlieren. Er sah, wie sie leicht den Mund öffnete, erblickte ihre zartrosa Zungenspitze und wusste, dass er sie hier und jetzt erobern musste. Er beugte sich vor und nahm ihren Mund gefangen, wollte sie liebkosen, spüren, eins mit ihr werden.
Dieser Kuss war anders als die vorigen. Es lag keine Zärtlichkeit in ihm, keine Neckerei, er wurde allein von aus verzweifelter Begierde geborenem Verlangen beherrscht. Beatrice erwiderte den Kuss mit gleicher Inbrunst. Sie vergaß den Ball, Lord Asher und die anderen Gäste, die sich gleich hinter der Tür amüsierten. Seinen Nacken umschlingend zog sie ihn an sich und öffnete den Mund, um seinen Kuss ganz zu empfangen. Charles drückte sich an sie, und sie verloren sich in der Leidenschaft des Augenblicks. Die Welt um sie herum versank, sie nahmen nur noch einander wahr. Ihre miteinander verschmolzenen Lippen, ihre Hände ...
Unvermittelt hob Charles sie auf den Arm und ging zur Treppe hinüber. „Wo ist dein Zimmer?“, raunte er ihr ins Ohr.
Beatrice war zumute, als hätte man ihren Kopf mit Wolle ausgestopft. „Hm?“
„Dein Zimmer. Ich möchte dich das Liebesspiel lehren“, flüsterte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Oh nein. Lass mich runter, Charles. Wir ...“
Mit einem Kuss brachte er sie zum Schweigen. Ganz in der Nähe stand ein Palisandertisch. Dorthin trug er sie, schob die Blumenvase zur Seite, die herunterfiel und krachend zerbarst, und setzte Beatrice ab. Dann beugte er sich so weit über sie, dass sie gezwungen war, sich zurückzulehnen und an ihm festzuhalten, um nicht zu fallen. Langsam streifte er mit den Lippen über ihren Hals, bedeckte ihn mit einer glühenden Spur flammender Küsse, bis hinunter zu den sanften Rundungen ihres Brustansatzes.
Beatrice stöhnte auf, genoss die so lang ersehnten Wonnen, die er ihr bereitete, und öffnete die Augen, um ihn anzusehen.
Doch statt seines Gesichts sah sie Tante Louisa, Lady Pelham und Lucy, die sie fassungslos anstarrten.
Beatrice schrie entsetzt auf und schob Charles hektisch von sich. Verwirrt hob er den Kopf, aber als er ihre Miene sah, wusste er Bescheid. Er richtete sich auf und drehte sich um.
Beatrice sprang vom Tisch und rannte, ohne sich noch einmal umzusehen, die Treppe hinauf. Es war ihr gleich, ob das feige war. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so sehr geschämt. Wahrscheinlich würde sie weder ihrer Tante noch Lady Pelham oder
Weitere Kostenlose Bücher