Sommermaerchen
„Was tust du hier, Charles?“
„Man hat mich eingeladen.“
Beatrice verfluchte Tante Louisa insgeheim ein weiteres Mal. „Du wurdest aus reiner Höflichkeit eingeladen. Man hat nicht erwartet, dass du der Einladung folgst.“
„Dann warst du eben zu höflich.“ Er hielt kurz inne. „Schau, Beatrice, das ist doch albern.“
„Was ist albern?“
„Diese altjüngferliche Missbilligung deinerseits. Ich habe dich geküsst, aber wenn ich gewusst hätte, dass du dich dermaßen darüber echauffierst, hätte ich es nicht getan.
Entweder akzeptierst du nun meine Entschuldigung oder du lässt es bleiben.“
Charles hoffte inständig, sie würde akzeptieren. Er hasste sich selbst dafür, in diesem hochmütigen Ton mit ihr zu sprechen. Tief im Inneren fühlte er ganz anders. Doch ihr aufzuzeigen, dass sie ebenso für diese Situation verantwortlich war wie er, war der einzige Weg, sie dazu zu bringen, ihm zu verzeihen.
Sein Plan ging auf. Beatrices Wangen färbten sich glühend rot. Es stimmte. Sie hatte seinen Kuss erwidert, obgleich dies natürlich nichts an der Tatsache änderte, dass er sie nicht hätte küssen dürfen. Wie dem auch sei, sie traf ebenso große Schuld wie ihn.
„Du hast nicht gesagt, dass es dir leidtut“, erwiderte sie leise.
Charles hätte am liebsten vor Freude gejubelt. „Es tut mir leid, Beatrice. Schließen wir Frieden? Sind mir die Freiheiten, die ich mir herausgenommen habe, vergeben, und alles ist vergessen?“
Sie überlegte einen Augenblick. Sie dachte sogar jetzt an seinen Kuss, also war es gewiss nicht vergessen. Aber sie konnte ihm verzeihen, wenngleich ...
Sie seufzte resigniert. „Vergeben. Das ist ein Waffenstillstand.“
Er lächelte so charmant und reuelos wie eh und je. „Ich werde mir Mühe geben, mich zu benehmen. Wie du so richtig bemerktest, bin ich kein Gentleman ...“
„Charles“, sagte Beatrice warnend.
Er grinste frech und drehte sie übermütig im Takt der Musik. „Das war ein Scherz, Beatrice. Ich weiß, du strebst danach, dich zu vermählen, und ich strebe nach anderen Dingen. Wie geht deine Suche übrigens voran?“
„Meine Suche?“, fragte sie verwirrt.
„Die Gattenjagd, wenn dir der Ausdruck lieber ist.“
Sie errötete verlegen. „Dieser Ausdruck ist mir nicht lieber, und ich denke, die Suche ist beendet.“
Charles hob fragend eine Augenbraue, doch ihr schien nicht aufzufallen, dass ihre Worte ihm Rätsel aufgaben. Bedeuteten sie, dass sie sich gegen die Ehe entschieden hatte? Er hoffte es, obwohl diese Vorstellung erneut die leidenschaftlichen Fantasien heraufbeschwor, die er mühsam zu unterdrücken suchte. Ihre Suche könnte allerdings auch beendet sein, weil Asher ihr einen Antrag machen wollte. Hatte er dies vielleicht bereits getan?
Wenn dem so war, wusste Charles nicht, ob er damit leben könnte. Er bekam jedoch keine Gelegenheit, sich genauer zu erkundigen. Der Walzer endete, und Beatrice löste sich aus seinen Armen. Nach einem angedeuteten Knicks eilte sie davon.
17. KAPITEL
Als Charles am nächsten Morgen die Treppe hinuntergehen wollte, um zu frühstücken, traf er auf eine Miniaturausgabe von Beatrice. Die Kleine saß auf der obersten Stufe, das Ohr an die Geländerstäbe gepresst, und lauschte, was unten im Frühstückszimmer gesprochen wurde.
„Ahem“, räusperte er sich.
Das Mädchen sprang rasch auf. „Mir ist etwas heruntergefallen“, schwindelte es.
„Das ist nicht wahr“, erwiderte Charles. „Hast du wenigstens etwas Interessantes erfahren?“
Sie grinste unverfroren. „Oh ja. Wer sind Sie?“
Er verbeugte sich. „Charles Summerson, Marquess of Pelham, zu Ihren Diensten, Miss. Darf ich auch deinen Namen erfahren?“
Ihre Miene hatte einen neugierigen Ausdruck angenommen. „Ich bin Helen Sinclair, dreizehn Jahre alt und darf das ganze verfluchte Wochenende nicht herunterkommen. Übrigens habe ich heute Morgen reichlich Klatsch und Tratsch über Sie vernommen.“
Charles blickte sie verblüfft an, was in der Hauptsache daran lag, dass er eine dreizehnjährige junge Dame noch nie so unbekümmert in der Gegenwart eines völlig Fremden hatte fluchen hören. „Du weißt, die Hälfte von dem Gerede, das man so hört, ist gelogen.“
„Ach tatsächlich?“, fragte Helen unschuldig. „Das bedeutet, dass die andere Hälfte wahr ist.“
Bevor er antworten konnte, hörte er eine strenge Stimme hinter sich. „Helen, ich kann nicht glauben, was ich da eben gehört habe. So spricht man nicht mit
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