Sommermond
Viele andere Straßen und Stadtteile hätten näher gelegen. Warum musste es der Hirschpark zwischen Blankenese und Nienstedten sein?
Besonders weit kam er mit seinen gedanklichen Ausführungen jedoch nicht. Nicht weit entfernt tanzte ein Schatten in der Dunkelheit, neben dem eine weitere Silhouette schwebte.
„Da sind sie“, meinte Sergej.
„Wer?“, fragte Alex erneut und fühlte dabei die absurde Hoffnung in sich aufsteigen, schon jetzt - nach einem derart simplen Akt - den Namen des Hintermanns herauszufinden „Wer zum Teufel –“
„Pawlow“, begrüßte Iwan den einen und ließ dabei nun doch einen russischen Akzent hören. Pawlow klang nach einem Nachnamen.
Der angesprochene, große Kerl erwiderte etwas wie „Dobri wjetschur“ , beugte sich dann vor und küsste erst Iwan, dann Sergej dreimal auf die Wangen. Die gleiche Prozedur wiederholte sein Mitbringsel.
Alex stand stocksteif da. Er fühlte sich fehl am Platz. Deshalb wollte er etwas zur Seite treten. Doch kaum dass er seinen linken Fuß einen Schritt nach hinten gesetzt hatte, kam Iwan auf ihn zu, packte ihn am Arm und schob ihn vor sich in die Mitte. Dazu sagte er irgendetwas auf Russisch. Und sein älteres Gegenüber erwiderte etwas auf Russisch. Es war zu dunkel, als dass Alex die beiden Fremden genauer erkennen konnte. Er sah nur, dass der eine, mit dem Iwan sprach, ein gestandener Mann war. Über seiner hohen Stirn blitzte ein Seitenscheitel zwischen sauber gekämmten Haaren. Unter seinen schmalen Augen hingen breite Tränensäcke und um seine Lippen wuchs ein kurzer Bart. Alex schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Vielleicht auch etwas älter.
Er wusste nicht, was als nächstes geschehen würde. Unsicher stand er da und spürte vier Augenpaare auf sich.
„Nun zu dir“, meinte der Mann und machte dabei eine hypnotische Bewegung mit seiner Hand. In seiner Stimme hing ein lallender Akzent. Er trat zu Alex und musterte ihn von oben bis unten. Als er fertig war, lehnte er seinen Kopf nach hinten und schmunzelte.
„Wer sind Sie?“, fragte Alex und versuchte hart zu klingen.
Der Mann nickte kaum merklich und grinste zufrieden. Gerade so, als ob ihn Alex‘ forsche Art zu irgendeiner Entscheidung verholfen hätte.
„Ich stelle hier die Fragen“, sagte er dann.
Alex sah zu ihm auf. Zwischen den vier Russen fühlte er sich klein und zierlich.
„Also“, fuhr der Mann fort. „Für wen arbeitest du?“
„Für niemanden“, entgegnete Alex.
Der Mann beäugte ihn skeptisch. „Woher bekommst du den Schnee?“, fragte er weiter.
Alex wusste, was damit gemeint war.
„Ich hab‘ gute Kontakte“, erwiderte Alex. „Nichts, was Sie was angeht.“
Der Mann hob seine Hand und fuhr sich mit Zeigerfinger und Daumen über die Mundwinkel. Der Kerl hinter ihm stand mit festem Blick da. Seine Arme hielt er ineinander verschränkt vor der Brust.
„Iwan?“, fragte der Mann und wandte sich damit an seinen mutmaßlichen Handlanger, „Was verschafft mir denn genau die Ehre?“
Der Angesprochene trat einen Schritt nach vorn und stellte sich neben Alex.
„Er hat mehrere tausend Euro in seinen Taschen“, antwortete er. „Seine Einnahmen von nur einem Tag.“
„Dürfte ich mich bitte selbst davon überzeugen?“, fragte der Mann, der vorhin Pawlow genannt worden war. Er artikulierte sich übertrieben höflich. Alex kannte diese Art von Höflichkeit; diesen Schein, der nur dazu diente, das wahre Ich zu vertuschen; diese Art zu Reden, mit der sich Bosse wie Könige fühlten.
Im Augenwinkel sah er, dass Iwan nickte und einen Arm nach ihm ausstreckte. Doch er wehrte ab und stopfte seine Hand in seine Tasche, um das feucht gewordene Geld zu schützen.
„Iwan!“, rief Pawlow daraufhin. Eine Aufforderung, die mit einem verwischten Winken unterstrichen wurde.
Alex kannte derartige Gesten zu gut. Er spürte, wie sich Adrenalin in ihm freisetzte und ihn darauf vorbereitete, sich zu verteidigen. Doch Iwan und Sergej waren schneller. Sie packten ihn zu abrupt. Die Adrenalindosis in Alex‘ Adern hatte noch nicht genügt. So blieb sie nur kurze Zeit auf einem Level und klang dann wieder ab. Iwan hatte Alex‘ Arme nach hinten gerissen und klemmte sie auf seinen Rücken. Derweilen machte sich Sergej an seinen Taschen zu schaffen und zog alles heraus, was er finden konnte: Alex‘ Schlüsselbund, seine Zigaretten, sein Portemonnaie, das mit Packpapier umwickelte Koks und schließlich das Geld. Letzteres reichte er dem alten Russen, der die Scheine
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