Sommermond
geh‘ mit niemandem mit, dessen Name ich nicht kenne“, entgegnete Alex.
Er hatte die beiden fest an der Angel. Das fühlte sich gut an.
Der Russe nickte. Dann streckte er seine Hand wie ein Geschäftspartner aus. Alex beäugte sie kritisch.
„Iwan“, stellte er sich vor.
Alex blickte abwechselnd von dessen Hand in dessen Augen. Als er daran dachte, dass es eine der Hände war, die ihn noch vor wenigen Minuten fast zu Tode gewürgt hatten, wurde ihm schlecht. Trotzdem nahm er sie an.
„Alex“, erwiderte er.
„Gut, Alex“, sagte Iwan. „Kommst du jetzt mit?“
Die seltsame Sympathie war in Iwan zurückgekehrt und erinnerte Alex ein wenig an die zwiespältige Art Juans.
„Wohin?“, fragte er.
„Wir wollen dich wem vorstellen.“
Das genügte Alex als Antwort. Er war bemüht, sich ein erhabenes Grinsen zu verkneifen. Er hatte gewonnen. Der Plan ging auf. Und die Typen hatten keine Ahnung.
Mittlerweile hatte es wieder zu regnen begonnen. Ein kühler Schauer rieselte auf sie herab und hinterließ feuchte Spuren in ihren Gesichtern. Alex wurde zu einem schwarzen Wagen geführt. Dabei musste er kurz an seinen geliebten BMW denken und hoffte, ihn bald wieder zu sehen. Er war überrascht, dass die beiden Russen ihm blind vertrauten, ihn nicht einmal festhielten, obwohl er einfach hätte wegrennen können.
Iwan hielt ihm eine der hinteren Türen auf und wartete darauf, dass er einstieg. Alex gehorchte wortlos. Er war Schlimmeres gewohnt. Iwan selbst nahm den Beifahrersitz ein. Sergej setzte sich hinters Steuer. Er startete den Motor und fädelte sich aus der Parklücke.
Die hinteren Fensterscheiben waren getönt. So sah es draußen nicht nur dunkel, sondern schwarz aus. Die schmale Mondsichel am Himmel verschaffte kaum Helligkeit.
Alex war zwar neugierig, wohin ihn diese Fahrt führen würde, schloss aber dennoch die Augen. Er war zu erschöpft. Noch immer trug er die schweren psychischen Folgen der Entführung mit sich herum und musste trotzdem nach außen hart und selbstbewusst erscheinen. Er fühlte sich nicht dazu in der Lage, die neuen Umstände zu verarbeiten. Sein Kopf war zu voll, die Schmerzen an Fuß und Hals zu groß.
Von vorn hörte er die Stimmen der beiden Kerle, wie sie auf Russisch miteinander sprachen. Für Alex klang die fremde Sprache wie ein Wiegenlied. Er lehnte sich gegen die Kopfstütze und versuchte seine Gedanken zu sammeln. Doch dabei driftete er nur immer weiter ab. Zwischendurch kippte sein Kopf zur Seite und riss ihn schlagartig in die Realität zurück. Doch ein kurzer Augenschlag genügte, um sich zu vergewissern, dass das geplante Vorhaben aufging. Und das war zunächst alles, was zählte.
Nach einer Fahrt, die sich für Alex wie eine Ewigkeit angefühlt hatte, in Wahrheit aber nur einer halben Stunde entsprach, kam der Wagen zum Stehen. Alex schlug die Augen auf und blickte aus dem Fenster. Wider alle Erwartungen befanden sie sich nicht in irgendeiner dreckigen Gasse, sondern am Hirschpark , der keine drei Kilometer von der Villa seines Vaters entfernt lag. Die Elbchaussee führte an ihm vorbei. Früher war er oft hier gewesen. Als Kind hatten ihn das Damwild und die jahrhundertalten Bäume fasziniert. Dann hatte er zwischen Linden, Ahorn- und Kastanienbäumen Verstecken gespielt und anschließend die Tiere gefüttert. Seine Mutter war oft mit ihm hier gewesen. Sein Vater nur selten.
Diese Erinnerung in der Dunkelheit weckte eine kurzzeitige Melancholie in ihm. Erst als Iwan die Beifahrertür und anschließend eine der hinteren Türen aufriss, wurde Alex aus seinen Gedanken gerissen.
„Was wollen wir hier?“, fragte er sofort und meinte die Frage dabei genau so, wie er sie meinte.
„Steig aus!“, befahl Iwan.
Alex blickte irritiert zu ihm auf, bevor er gehorchte. Er schob seine Beine aus dem Fußraum und kletterte aus dem Wagen. Nur beiläufig nahm er wahr, wie Sergej als letzter ausstieg und sich zu ihnen stellte. Er schob seinen Ärmel ein Stück nach hinten und warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr.
„Sie müssten gleich hier sein“, sagte er dazu. Mit seiner lauten Stimme verwischte er Alex‘ Gedanken. Die Dunkelheit hüllte den Park mystisch ein.
„Wer?“, fragte Alex. „ Wer müsste gleich hier sein?“
„Halt die Klappe!“, meinte Sergej, klang dabei aber nicht sonderlich streng.
Alex seufzte kaum hörbar und zog die Kapuze zurück über seinen Kopf. Ihm wurde kalt. Immer wieder fragte er sich, warum sie an diesen Ort gefahren waren.
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg