Sommermond
dabei, als ob er nach dem richtigen Wort suchte.
„Max?“, warf Ben ein.
„Genau!“ Peer nickte. „Also … Warum will Max dich verkuppeln?“
Ben zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ‘n angeborenes Helfersyndrom?“
Daraufhin warf Peer ihm einen skeptischen Blick zu, ging allerdings nicht weiter darauf ein. Stattdessen schob er sich das zuvor abgezupfte Brötchen in den Mund und lehnte sich im Sitz zurück.
„Und?“, fragte er dann. „Was hast du heute noch vor?“
„Uni“, war Bens knappe Antwort.
„Und danach?“, fragte Peer weiter.
„Lernen“, log Ben.
„Falsch!“, entgegnete Peer und deutete mit erhobenem Finger auf ihn. „Und ich mag es nicht, wenn man mich anlügt.“
Bens Blick verzog sich. Peer hatte eine Art, die ihn auf eine seltsame Weise verunsicherte. Vermutlich verunsicherte sie jeden auf eine seltsame Weise. Vermutlich war genau das Peers Absicht.
„Ich wette, du gehst heute Abend zur Erstsemesterparty“, meinte Peer.
Er warf Ben einen scharfen Blick zu und presste die Fingerkuppen beider Hände gegeneinander, um sein Kinn darauf abzustützen.
„Wie kommst du darauf?“, fragte Ben.
Peer zuckte mit den Schultern. „Sag du’s mir!“
Ben warf ihm einen kritischen Blick zu. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Also lenkte er ab, indem er einen weiteren Blick auf seine Armbanduhr warf und daraufhin nach seiner Jacke griff.
„Ich muss jetzt los“, erklärte er und richtete sich auf.
„Ich wette außerdem, Max wäre dafür gewesen, dass du mich einlädst“, fügte Peer seiner vorherigen Aussage hinzu.
„Dann tut’s mit leid“, erwiderte Ben. „Wir haben leider keine Karten mehr.“
Mit diesen Worten umrundete er den Tisch und zog sich seine Tasche über die Schulter. Dieses Mal achtete er allerdings darauf, nichts mit ihr umzuwerfen. Er wusste selbst nicht, warum er es für nötig hielt, so schnell wie möglich aus dieser Konversation zu flüchten. Im Grunde fühlte er sich in Peers Gegenwart wohl, verdrängte diese Erkenntnis jedoch. Er fühlte sich noch nicht bereit für jemand Neues. Er schaffte es nicht einmal, gekonnt zurückzuflirten. Hinzu kam, dass Peer es ihm mit seiner extravaganten Art nicht leicht machte. Er sah gut aus, war begabt, intelligent und äußerst mundgewandt.
Als Ben sich schließlich noch einmal zu Peer umdrehte, pulte der gerade das Innere aus seinem Brötchen und formte Figuren damit. Ben schüttelte schmunzelnd den Kopf. Eine Verabschiedung schien nicht notwendig, und so wandte er sich endgültig ab und schritt zur Tür. Er verließ die Campus Suite , durchquerte den langen Korridor bis zum Eingangsbereich und verließ das Uni Hauptgebäude.
Die anstehende Vorlesung war mit zwei anderen Semestern zusammengelegt worden und sollte im Audimax stattfinden. Angeblich aus Platzgründen. Ben war allerdings der festen Überzeugung, dass sich der zuständige Professor nur wegen des hoch angesehenen Besuchs für eine Lesung im Audimax eingesetzt hatte. Ein bekannter Innenarchitekt aus Bremen wollte die Lesung verfolgen und dabei ein paar seiner wichtigsten Erfahrungswerte einbringen.
Ben umrundete das im Licht rot leuchtende Hauptgebäude, badete sein Gesicht in der frühlingswarmen Sonne und ließ seinen Blick über die weiten Wiesen schweifen. Gelbe Narzissen wogen sich im Wind und streckten ihre blassgrünen Hälse aus einem Meer lilafarbener Krokusse. Dazwischen frischgrünes Gras. Das Gesamtbild erinnerte Ben daran, dass bald Ostern war. Und das, obwohl ihn noch immer das Gefühl beschlich, Weihnachten wäre erst vor ein paar Wochen gewesen.
Er passierte die große Hochschulbibliothek, dessen Vorderfront an das Bug eines Schiffes erinnerte, und überquerte eine Holzbrücke, die über ein kleines Gewässer führte. Kurz darauf kam er am Audimax an, dessen Bezeichnung in weißen Lettern hinter der Glasfassade prangte.
Ben blieb etwas entfernt von dem Hörsaalgebäude stehen, stellte seine Tasche auf einer Mauer ab und kramte sich eine Wasserflasche heraus. Er trank ein paar kräftige Schlucke und schob sich anschließend ein Kaugummi in den Mund, um den vom Croissant bedingten, schlechten Geschmack aus seinem Mund zu verjagen. Als er die Flasche daraufhin in seine Tasche zurückstopfte und erneut zum Audimax aufsah, wurde er nachdenklich. Er begann sich zu fragen, warum er nicht auf Peers Flirtversuche einging, und fand keine andere Erklärung als die, dass er noch mehr an Alex hängen musste, als er sich eingestehen wollte.
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