Sommermond
Chillout-Lounge, schob ein paar Hefter zur Seite und entdeckte den gesuchten Gegenstand schließlich zwischen den Seiten eines zugeklappten Collegeblocks. Er nahm es an sich und steckte es in seine Hosentasche. Als er sich anschließend zum Gehen umwandte, stach ihm allerdings etwas ins Auge, das beim Herumwühlen vom Tisch geweht war. Weich gebettet lag etwas auf dem hellen Hochflorteppich und schaute ihn an. Es war die Zeichnung, die Peer von ihm gemacht hatte. Ben bückte sich, nahm das Papier in seine Hände und ließ sich neben seiner Gitarre auf einem der Kissen nieder. Er vertiefte sich in die Zeichnung und musste erneut feststellen, wie perfekt Peer ihn zu jenem Zeitpunkt getroffen hatte: Geistesabwesend saß er in der Campus Suite und starrte vor sich ins Leere, und in seinen Händen der Becher, an den er sich krallte, wie an ein letztes Stück Hoffnung.
Ben wendete das Papier in seinen Händen. In weicher Schrift stand Peers Handynummer auf der Rückseite. Er zog seine Beine an sich heran und seufzte. Dabei überkam ihn plötzlich ein kurzer Schwall Mut, der ihn letztendlich dazu bewegte, sein Handy wieder aus der Tasche zu ziehen. Er zögerte nicht lange, tippte Peers Nummer in das Display und presste den Hörer gegen sein Ohr. Als er den Freizeichen lauschte, jagte ein nervöses Kribbeln durch seinen Körper, das ihn an das Gefühl vor einem ersten Date erinnerte. Doch weiter kam er in seiner Gedankenausführung nicht, da vernahm er schon ein leises Klicken.
„Krematorium München, Sie killen, wir grillen. Guten Tag?“
„Äh …“ Ben verschlug es die Sprache. Er wollte sich gerade für das Verwählen entschuldigen, als er genauer über die Worte nachdachte und irritiert das Gesicht verzog.
„Peer?“, fragte er.
„Max‘ Freund!“, entgegnete Peer und klang fröhlich überrascht.
Ben fiel auf, dass er dem Kunststudenten bislang noch nicht seinen Namen verraten hatte.
„Ben“, korrigierte er deshalb.
„Ben wie Benjamin oder Ben wie Benedikt?“, fragte Peer.
Im Hintergrund war laute Musik zu hören. Ben war sich nicht sicher, glaubte aber, dass es sich um klassische Stücke handelte.
„Einfach nur Ben“, antwortete er dann.
„Und was kannst du für mich tun?“, fragte Peer und spielte verwirrend mit den Worten.
Einen kurzen Moment bereute Ben seinen Anruf und überlegte, das Gespräch an dieser Stelle auf sich beruhen zu lassen und aufzulegen. Doch das war nicht seine Art. Außerdem hätte er mit Peers verrückter Art rechnen müssen. Deshalb gab er sich einen Ruck und räusperte sich, um etwas Zeit zu gewinnen. Nebenbei zupfte er mit seinen Fingern über die verstimmten Saiten seiner Gitarre.
„Na ja“, erwiderte er schließlich. „Eigentlich wollt‘ ich dich fragen, ob du heute Abend mitkommen willst. Wir könnten uns ja vorm H-Gebäude treffen“, schlug er vor.
Der sogenannte Treffpunkt war ein Gebäude auf dem Campus, das für spezielle Veranstaltungen vom AStA zu einer Partykulisse ummodifiziert wurde.
„Ach, wirklich?“, fragte Peer. Ben konnte hören, wie er die Musik leiser drehte. „Das ist schade. Ich hab‘ gerade eine Riesenauktion bei eBay gestartet.“
„Ich versteh‘ nicht ganz …“, gab Ben irritiert zurück.
„Meine Karte liegt gerade bei einem Gebot von 102 Euro und 50 Cent“, erklärte Peer. „Die Frage ist nun … Soll ich dich dem Geld vorziehen?“
Ben schüttelte schmunzelnd den Kopf.
„Mann, Peer! Jetzt mal im Ernst. Willst du mit oder nicht?“
Doch statt zu antworten, fragte Peer: „Du hast das Bild also noch?“
„Ja, natürlich. Wieso –“
„Meine Nummer“, erklärte Peer. „Die hat dich verraten.“
„Wie auch immer …“, tat Ben ab. „Ich werd‘ gleich abgeholt. Also?“
„Ich werde um Viertel nach neun da sein“, erwiderte Peer. „Versprochen.“
Dabei sprach er, als ob dies eines von vielen Versprechen wäre, von denen er bislang nahezu keines eingehalten hatte.
„Okay“, gab Ben zurück. „Dann sehen wir uns gleich.“
„Jab.“
Ben schüttelte den Kopf, bevor er das Handy vom Ohr rutschen ließ und auflegte. Er stopfte es zurück in seine Tasche und zupfte noch immer mit einer Hand an den Saiten seiner Gitarre. Sie war so verstimmt, dass sein musikliebendes Herz zu schmerzen begann. Deshalb gab er sich einen Ruck, zog sein Baby zu sich auf den Schoß, legte seine linke Hand um ihren Kopf und drehte an den kleinen Schrauben, während er mit der rechten Hand über die Saiten strich. Dabei stiegen
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