Sommermond
sich der vielversprechende Abend in eine andere Richtung entwickelt hatte, sondern viel mehr, als ob auch ihn ein schlechtes Gewissen plagte, unter dem er sich vorwarf, in zu kurzer Zeit zu weit gegangen zu sein.
Ihre Blicke hingen aneinander. Schweigend starrten sie sich an. Jeder schien in den anderen hineinsehen zu können. Ben fühlte sich miserabel. Plötzlich bröckelte seine hart erkämpfte Disziplin. Fast ununterbrochen dachte er an Alex. Gleichzeitig kam er sich dämlich dabei vor, wie er halbnackt vor einem gutaussehenden Kerl stand und vor dem Sex geflüchtet war, wie ein Mädchen vor ihrem ersten Mal.
Peer trat langsam auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb er stehen, hob seine Hände und fuhr Bens Narben mit seinen Fingern nach.
„Was ist deine Geschichte?“, flüsterte er.
Ben sah ihm noch ein letztes Mal fest in die Augen, bevor er seinen Blick senkte. Schließlich gab er nach und holte tief Luft.
„Vor ein paar Wochen bin ich angeschossen worden“, erzählte er. „Das war ein Unfall, weil …“ Er stockte, wusste nicht, wo er anfangen sollte, und war kurz davor, seine Erzählung wieder abzubrechen. Die Fülle an Informationen, Gefühlen und Gedanken erschien ihm einfach zu groß, als dass man sie in wenigen Worten zusammenfassen und mit jemandem teilen konnte. Das war, als würde man anfangen, die Sandkörner am Strand zu zählen.
Peer nahm seine Hand herunter und gab Ben sein T-Shirt zurück.
„Lass uns erst mal hier rausgehen“, sagte er dazu.
Ben blickte ihn nachdenklich an und nickte schließlich. Er folgte Peer aus dem engen Bad, schaltete das Licht hinter sich aus und ging mit ihm ins Wohnzimmer. Auf dem Weg streifte sich Peer eines der T-Shirts über, die er vorhin auf den Flurboden geworfen hatte. Dann schritt er zur schwarzen Couch und schaltete eine runde Tischlampe auf einem kleinen Schränkchen an. Er zog die dunkelgrünen Vorhänge vor die Fenster und deutete Ben an, sich zu setzen.
„Willst du was trinken?“, fragte er.
Ben schüttelte den Kopf.
„Ich auch nicht“, meinte Peer und setzte sich neben ihn auf die Couch. Er schob die beigefarbenen Kissen zur Seite, zog sich eines von ihnen auf den Schoß und lehnte sich nach hinten.
Ben warf ihm noch einen kurzen Blick zu, bevor er sich im Wohnzimmer umsah. An der Wand hingen abstrakte Kunstgemälde, auf denen mit bunter Farbe herumgepanscht worden war.
„Hast du die gemalt?“, fragte er Peer.
Der lachte leise auf. „Das sind Kopien einiger Bilder von Emil Schumacher“, erklärte er. Als er Bens ahnungslosen Blick sah, fügte er hinzu: „Ein deutscher Maler. Lebt leider nicht mehr.“
Ben nickte.
„Also“, meinte Peer dann. „Jetzt noch mal von vorn.“ Er pausierte und setzte einen kritischen Blick auf. „Du bist angeschossen worden?“
„Ja“, erwiderte Ben, „und das war der Anfang vom Ende.“
„Ich bin gespannt“, entgegnete Peer und lächelte. Das war unpassend, aber erleichterte es Ben, die Erinnerungen einfach herunter zu erzählen und sie nicht zu tief in seinen Verstand vordringen zu lassen.
Er erzählte Peer von seinem Praktikum in Hamburg, und davon, wie er Alex kennengelernt hatte. Er erzählte von dessen Schulden und Problemen, von ihrem Zusammenkommen und dem Unfall. Er erzählte von Jo, von Nick und von seiner Zeit im Krankenhaus. Zum Schluss erwähnte er noch den Streit, in dem er und Alex auseinandergegangen waren, und davon, dass sie sich danach kein weiteres Mal gesehen hatten und Ben nur während eines zufälligen Telefonats erfahren hatte, dass Alex ihre Beziehung aufgegeben hatte.
Peer hörte ihm die ganze Zeit zu. Zwischendurch warf er ein „hm“ oder „hm hm“ ein, um Ben zu zeigen, dass er noch folgen konnte. Er unterbrach ihn nicht, stellte keine Fragen, sondern hörte einfach nur zu. Und das tat gut.
Als Ben fertig war, seufzte er erschöpft und fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen. Er hielt noch einen kurzen Moment inne, hakte im Kopf ab, ob er alles erwähnt hatte, und wandte sich schließlich zu Peer. Der schaute nachdenklich zurück.
„Tja …“, meinte Ben und spannte seine Schultern kurz an, um sie gleich darauf schlaff fallen zu lassen. „Jetzt weißt du alles.“
Peer erwiderte nichts. Ben rutschte in eine bequemere Position. Sein linker Fuß war eingeschlafen.
„Meine Eltern sind gestorben, als unser Haus abgebrannt ist“, sagte Peer dann. „Zoé und mich konnte man retten. Für meine Eltern kam jede Hilfe zu spät.“
Ben starrte ihn
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