Sommermond
über die Augenpartie. Er konnte kaum glauben, wie naiv er gewesen war, als er für wenige Minuten an einen Neuanfang mit Ben geglaubt hatte. Er hatte von dem Stipendium gewusst und diese Tatsache einfach ignoriert. Er wusste nicht, was er von Ben erwartete. Er wusste nicht einmal, was er von sich selbst erwartete. Er wusste nur, dass ihn Bens Worte verletzt hatten, und er nun mit der bitteren Erkenntnis zu kämpfen hatte, in ein paar Tagen wieder allein zu sein. Er hatte all die Strapazen auf sich genommen, um Ben zu schützen und vielleicht irgendwann wieder mit ihm zusammen sein zu können. Doch plötzlich wirkte all das so nichtig. Ben hatte einen vollkommen anderen Lebensweg vor sich. Er kletterte die Sprossen seiner Karriereleiter rasant hinauf, während Alex unten stand und nicht mehr tun konnte, als zu ihm aufzuschauen. Gerade, beim Sex, hatte sich alles so perfekt angefühlt. So perfekt, dass er sogar dazu bereit gewesen war, Ben seine Probleme anzuvertrauen. Doch nun füllte ihn nur noch Schmerz und Enttäuschung. Er hatte so viel für Ben getan und war davon ausgegangen, dass das genügte, um Ben an sich zu binden. Aber das tat es nicht. Er hatte sich darauf gefreut, den ganzen Drogenscheiß bald hinter sich lassen zu können, um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen und nach vorn zu schauen. Doch jetzt kam ihm dieses Ziel so unbedeutend vor. Was spielte es noch für eine Rolle, wie sich sein Leben weiterentwickelte? Er würde der Masse immer hinterherhinken und sein Leben lang allein bleiben. Ben war der Einzige, der es mit ihm ausgehalten hatte; der Einzige, dem er sich geöffnet hatte; und der Einzige, den er über alles liebte. Ohne Ben war sein Leben sinnlos. Diese Erkenntnis war schmerzhaft und jagte ihm Angst ein. Auf einmal wurde ihm bewusst, dass es Ben war, der ihm in den letzten Wochen Kraft gegeben hatte. Es war immer Ben gewesen, den er am Ende seines beschissenen Kampfes gesehen hatte. Doch nun war da nichts mehr. Nichts außer Leere, die sein ganzes Leben in Frage stellte. Trotzdem musste er die angefangene Sache zu Ende bringen. So lange Ben noch hier war, fühlte er sich für ihn verantwortlich. Was danach folgen würde, wusste er nicht. Vermutlich weitere Probleme. Probleme, die sein Leben mit schäbigen Aufgaben füllen würden. Oder der geplante Deal ging schief, und er würde in den Knast kommen oder den besagten Abend nicht überleben.
Als Alex so darüber nachdachte, musste er gequält auflachen. Immerhin wäre Letzteres der beste Ausweg. Ein Ausweg, der dem beschissenen Lauf seines Lebens endlich ein Ende setzen würde.
23
Ben reichte Oberkommissar Wagner die Hand.
„Danke für Ihre Diskretion“, sagte er.
„Nein, wir danken Ihnen“, entgegnete Wagner.
Ben nickte, während die Hand des Polizisten aus der seinen glitt. Auch wenn sich ein ungutes Gefühl durch seinen Magen bahnte, war er sich sicher, das Richtige getan zu haben. Er wusste keinen anderen Weg, um Alex zu helfen. Dieses Mal war die Sache zu heftig. Alex hatte sich mit zwei Banden angelegt, vertickte Koks, kokste selbst und war kurz davor, sich an einem geplanten Mord zu beteiligen. Ben hatte eingreifen müssen, bevor es zu spät war. Er wollte nicht, dass Alex etwas zustieß. Er konnte nicht zurück nach Flensburg fahren und Alex sich selbst überlassen. Nicht, nachdem er wusste, in was er festhing.
„Heute Nacht lasse ich die Villa beobachten“, fuhr Wagner fort. „Damit Ihnen nichts zustößt.“
Ben nickte erneut. Sie erhoben sich von der Bank und traten zum Weg zurück. Die Dämmerung war bereits eingetreten und verpasste dem Jenischpark ein mystisches Gesicht. Der Wind flüsterte zwischen den Baumkronen, die Zweige wogen sich vor und zurück. Der Sand knirschte unter ihren Schuhen.
„Und Sie melden sich, sobald Sie Genaueres wissen!“, bat Wagner ihn.
„Was, wenn ich nicht mehr aus Alex rauskriege?“, hakte Ben nach. „Bisher sind die ganzen Infos total schwammig. Wir wissen nur, dass er sich morgen Abend mit jemandem hier im Park treffen will. Wir wissen weder wann genau, noch wo genau.“
„Im Notfall observieren wir den Park den ganzen Abend“, erklärte Wagner. „Es geht um viel. Gleich zwei Anführer auf einmal festzunehmen …“ Er schmunzelte. „Damit würden wir sicher in die Geschichte eingehen.“
Ben lachte leise. Er war froh, Kommissar Wagner hinzugezogen zu haben. Er wollte Alex‘ Vertrauen nicht missbrauchen. Doch es ging hier um Leben und Tod. Er hatte nicht vor,
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