Sommermond
zustieß. Der Dunkelhaarige hatte genug gelitten. Alex fühlte sich schuldig und bereute es wieder einmal, überhaupt mit dem Pokern angefangen zu haben. Er war da in etwas geraten, aus dem er nur schwer herauskam. Er wusste nicht, wie das Ganze noch weitergehen sollte. Aber genau so hatten die Typen vom Pokern es auch geplant. Sie hatten Diego engagiert, um verzweifelte, junge Menschen an die illegale Szene heranzuführen. Alex war blind darauf reingefallen. Zu jenem Zeitpunkt hätte er allerdings nie geglaubt – selbst, wenn man es ihm gesagt hätte – dass die ganze Sache ein solches Ausmaß annehmen würde. Derartige Geschichten kannte er eigentlich nur aus dem Fernsehen und hatte sie nie mit dem wirklichen Leben in Verbindung gebracht. Aber jetzt steckte er mitten drin und wusste weder ein noch aus.
Nervös kaute er auf seiner Unterlippe und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er musste etwas tun. Irgendetwas. Vermutlich brauchte er aber vorerst die 40.000 Euro, die er dem Spanier beim nächsten Mal höchstpersönlich übergeben würde. Aber so weit sollte es erst gar nicht kommen. Es musste noch eine andere Option geben. Die Suche nach einer anderen Wahl zermarterte ihm den Verstand. Zwischenzeitlich musste er fast auflachen vor lauter Selbstironie. Die ganze Situation war absurd. Es war fast, als ob die letzten Wochen nicht stattgefunden hätten oder sich noch einmal wiederholten. So hatte er doch erst vor weniger als einer Woche dagesessen und über dieselben Probleme nachgedacht. Es war wie ein schlechter Scherz, dass sich diese außergewöhnlichen Umstände nun wiederholten.
Verzweifelt stöhnte er. Dann stand er auf und schritt ein paar Mal in seinem Zimmer auf und ab. Die innere Unruhe machte ihn verrückt. Eigentlich fühlte er sich verpflichtet dazu, Ben über die Neuigkeiten zu informieren. Er entschied sich allerdings dagegen, als ihm bewusst wurde, dass die Sorgen Bens Heilungsprozess beeinflussen könnten. Nach einer Weile setzte er sich wieder und tippte nervös mit seinem Fuß auf dem Boden, dann stand er erneut auf und trat zum Fenster. Er wollte es öffnen, sehnte sich nach frischem Sauerstoff. Doch als er seine Hand nach dem Griff ausstreckte, wurde seine gesamte Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt. Helles Scheinwerferlicht blendete ihn für einen Moment, als ein Wagen die Einfahrt hinaufrollte. Alex blinzelte gegen das Licht und wartete ab, bis der Wagen zum Stehen kam. Der Bewegungsmelder der Villa schenkte nun ausreichend Helligkeit. Hinter seinem BMW parkte ein teures, silberfarbenes Auto. Alex‘ Gedanken verblassten, stattdessen breitete sich nun das Gefühl enormer Panik in ihm aus. Saßen in dem Wagen etwa Anhänger des Spaniers, die ihm oder seinem Vater etwas antun wollten?
Sein Puls beschleunigte sich, seine Atmung wurde flacher. Die Fahrer- und Beifahrertür öffneten sich fast zeitgleich. Links stieg ein fremder Mann aus, rechts jemand Bekanntes. Es war der Typ von der Kripo. Es war Oberkommissar Wagner.
Alex‘ Lebensangst verwandelte sich nun in Bestürzung. Er hatte seinem Vater vertraut, doch Jo hatte sich nicht an ihre Abmachung gehalten. Wut mischte sich zwischen seine aufgestauten Emotionen und ließ seine Hände zittern. Die Polizei war das Letzte, was er in seiner Situation gebrauchen konnte. Die würden ihm nicht helfen können, schon gar nicht rechtzeitig. Bis die etwas in die Wege leiten würden, wäre es vielleicht schon zu spät für Ben.
Ben.
Alex bekam Panik, als ihm bewusst wurde, dass sein Freund nun tatsächlich in Gefahr war. Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, seine Kopfschmerzen wurden fast unerträglich. Er fasste sich mit beiden Händen an die Schläfen und schloss einen Moment lang die Augen.
„Fuck …“, murmelte er.
Als er seine Augen wieder öffnete, waren der Oberkommissar und sein mutmaßlicher Kollege aus seiner Sichtweite verschwunden. In Alex stieg sofort das Verlangen auf, ins Bad zu rennen, um sich erneut zu übergeben. Allerdings wäre da höchstens etwas Gallenflüssigkeit, die er erbrechen könnte. Sein Magen war vollkommen leer.
Einen ganzen Moment lang verharrte er in seiner Position und wusste nicht, was er tun sollte. Gedämpft konnte er hören, wie die Haustür geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen wurde. Jetzt waren die Typen von der Kripo im Haus. Jetzt befand er sich mit ihnen unter einem Dach und musste sich Fragen stellen, die er weder beantworten konnte noch wollte. Seine Ausweglosigkeit
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