Sommermond
jedem Atemzug bewegte sich sein Oberkörper auf und ab.
„Ich hatte ‘nen schlechten Traum …“, nuschelte er.
„Schon wieder?“
Ben blickte verdutzt zu ihr auf. Daraufhin fuchtelte sie erklärend mit ihren Händen in der Luft.
„Na ja, die Nachtschicht hat erzählt, dass es Ihnen heute Nacht nicht so gut ging“, sagte sie.
Ben nickte.
„Sorry, dass ich Sie geweckt habe“, fuhr das schwarzhaarige Mädchen fort. „Ich muss einmal Temperatur messen.“
Ben nickte erneut. Vorsichtig legte er sich wieder hin und ließ die Schwester ohne große Widerworte an ihm herumhantieren. Sie klemmte ihm ein altmodisches Thermometer unter die Achsel und warf nebenbei einen Blick auf den Monitor.
„Jetzt sind Puls und Blutdruck aber gut“, sagte sie dazu.
Ben nickte zum dritten Mal. Ihm war nicht nach einem Gespräch zumute. Das Ereignis der Nacht hing brennend in seinen Gliedern.
„Vielleicht kann das ja heute ab“, führte die Schwester ihren Monolog fort.
Ben seufzte und drehte sein Gesicht Richtung Fenster. Die Schwester nahm ihm das Thermometer wieder ab und notierte den gemessenen Wert in seiner Akte.
„Frühstück kommt dann auch gleich und danach müssen Sie noch mal zum Röntgen“, erklärte sie und wandte sich schließlich von Ben ab. Sie ging zur Tür und verließ das Zimmer. Daraufhin atmete Ben erschöpft aus. Er hatte sehr schlecht geschlafen und die Geschehnisse der letzten Woche in seinem Traum wirr miteinander vermischt. Als er dann geweckt worden war, war er einen Moment lang fest davon überzeugt gewesen, dass der Kerl von heute Nacht zu ihm zurückgekehrt war.
Draußen regnete es. Es war noch dunkel.
Ben streckte sich nach seinem Handy. Wieder musste er seine Schmerzen überwinden, ehe er es am Fußende seines Bettes erreichte. Doch die Enttäuschung war groß. Alex hatte noch immer nicht auf seine Anrufe reagiert. Kein Rückruf. Keine SMS. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Einerseits sorgte er sich um seinen Freund, andererseits war er wütend.
Einen Augenblick später ging die Tür erneut auf. Eine andere Schwester brachte ihm das Frühstück und stellte es auf den dafür vorgesehenen Tisch.
„Guten Appetit“, sagte sie und klang dabei geradezu maschinell.
Ben erwiderte nichts, warf ihr nicht einmal einen Blick zu. Er hatte ohnehin keinen Hunger. Stattdessen quälte ihn seine überfüllte Blase. Er hatte jedoch keine Lust, eine Schwester um Hilfe zu bitten. Nicht heute. Er versuchte seinen Harndrang noch eine Weile zu ignorieren. Als ihm dies allerdings nicht gelang, zögerte er nicht lange. Er raffte sich hoch, schob seine Beine aus dem Bett und quälte sich in eine sitzende Position. Der Monitor, der ihn überwachte, war an zwei großen Schrauben abdrehbar. Also stand Ben auf. Sein Gesicht verzog sich schmerzerfüllt. Nur in einer nach vorn gebeugten Haltung schaffte er ein paar Schritte. Er löste den Apparat von dem Gestell, nahm ihn in die linke Hand und schlurfte zum kleinen Bad. Kaum dass er es betreten hatte, schloss er von innen ab und stellte das technische Gerät auf den Boden. Dann zog er seine Boxershorts herunter und setzte sich auf die Toilette. Es war ein erleichterndes Gefühl, wieder selbstständig auf Klo zu gehen. Er leerte seine Blase, richtete sich wieder auf und spülte. Anschließend trat er zum mickrigen Waschbecken und schäumte seine Hände mit türkisfarbener Krankenhausseife ein. Als er seine Finger daraufhin vom Schaum befreite, wagte er einen Blick in den Spiegel und erschrak. Er war bleich und hatte dunkle Ränder unter den Augen. Ein neuer Dreitagebart zog sich durch sein Gesicht und bildete zusammen mit seinen zerzausten Haaren ein verwahrlostes Bild. An seiner linken Wange zogen sich hässliche Schürfwunden entlang, die vermutlich vom Sturz kamen.
„Scheiße …“, nuschelte er und wandte sich wieder ab.
Er griff nach einem der Papierhandtücher. Neben dem Halter dieser Einwegtücher baumelte eine Notfallklingel. Ebenso neben der Toilette. Ben fühlte sich fast wie in einem Altenheim. Leise seufzte er. Am liebsten hätte er sich noch die Zähne geputzt, doch sein Waschzeug lag noch immer auf seinem Nachtschrank. Also ging er zurück zur Tür, schloss auf und kehrte in langsamen Schritten zu seinem Bett zurück. Sein Kreislauf machte ihm dabei zu schaffen. Nur mit gesenktem Kopf, indem er sich auf den Boden fixierte, schaffte er es, einigermaßen aufrecht zu gehen. In der einen Hand hielt er den Monitor, mit der anderen
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