Sommermond
nicht bald ändert, ist das hier erst der Anfang.“
Ben starrte den Fremden mit großen Augen an. Die Worte hallten in ihm wider, trotzdem verstand er sie nicht. Er hatte doch selbst mitbekommen, dass Diego Alex das Geld überlassen hatte. Wieso verlangten die Typen es jetzt noch einmal?
Er war geschockt und wusste nichts zu erwidern. Ängstlich wartete er ab. Dann hörte er Schritte im Flur. Jemand näherte sich dem Zimmer. Sofort stieg Panik in ihm auf – aus Angst, die Situation könnte eskalieren. Der Italiener reagierte allerdings anders als erwartet. Er nahm die Pistole von Bens Brust und trat ein paar Schritte rückwärts. Er schlich bis zu einem der Schränke und versteckte sich dahinter. Seine Knarre hielt er noch immer auf Ben gerichtet. Der Dunkelhaarige verstand diese Geste als wortlose Drohung. Er durfte keinen Fehler machen, sonst würde sich die Lage tatsächlich verschärfen. Das wusste er.
Die weiße Tür öffnete sich. Herein trat eine ältere Krankenschwester. Sie sah müde aus.
„Herr Richter?“, fragte sie leise.
„Ja?“, erwiderte Ben. Er musste sich zwingen, nicht in Richtung des Schrankes zu blicken.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ Sie trat zum Monitor und betrachtete ihn prüfend.
„Ja, wieso?“, fragte Ben ruhig. Wenn ihn in jenem Moment jemand sprechen gehört hätte, der ihn kannte, hätte diese Person gewusst, dass etwas nicht stimmte. Denn, obwohl er sich bemühte, nicht nervös zu klingen, schaffte er es kaum, seine Angst zu überspielen. Die Schwester merkte allerdings nichts. Zum Glück.
„Na ja, Ihr Puls …“, begann sie und deutete auf den Computerbildschirm.
Ben unterbrach sie hektisch und machte eine abtuende Geste. „Ich hab‘ nur schlecht geträumt. Sonst nichts.“
Die Schwester nickte. „Das ist sicher alles nicht leicht für Sie, hm?“
„Ja, genau“, erwiderte Ben und zwang sich zu einem höflichen Lächeln. „Das wird’s sein.“
„Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen? Wasser? Schmerzmittel?“ Mit jeder Frage wurde ihre Stimme höher.
Ben schüttelte energisch den Kopf. „Nein, nein. Danke. Geht schon.“
Für einen kurzen Moment dachte er über die Option der angebotenen Schmerzmittel nach. Doch diesen Gedanke verwarf er gleich wieder. In jenem Moment spürte er ohnehin nichts – außer dem inneren Drang, die Schwester um Hilfe anzuflehen.
„Gut“, sagte sie und schritt zur Tür zurück. „Wenn noch irgendetwas ist, klingeln Sie einfach, ja?“
Ben nickte erneut. Er war froh, dass das Zimmer dunkel war. Nur etwas Licht aus dem Flur warf einen weißen Balken über Boden und Wand. Wäre es heller gewesen, hätte die Schwester den Schweiß auf seinem Gesicht gesehen und ihn womöglich gründlicher untersucht.
„Gute Nacht!“, verabschiedete sie sich noch, bevor sie das Zimmer wieder verließ.
Ben blickte ihr so lange hinterher, bis sich der Typ wieder neben ihm aufbaute. Erschrocken zuckte er zusammen. Er war so tief in Gedanken gewesen, dass er sich für einen Moment geistlich aus der Situation entfernt hatte. Doch jetzt befand er sich zurück in der Realität. Wut kochte in ihm auf.
„Alex hat Diego das Geld gegeben!“, zischte er.
„Hast du Beweise dafür?“, entgegnete der Italiener und zuckte gelassen mit den Schultern.
Ben starrte ihn entsetzt an. Natürlich hatte er keine Beweise. Natürlich gab es keine Quittierung für die Übergabe.
„Ich denke, wir haben uns verstanden“, sagte der Kerl daraufhin. „Richte deinem Schwuchtelfreund aus, dass … sollte er noch mal die Bullen rufen … wir dich nächstes Mal kalt machen! Kapiert?“
Ben schluckte trocken. Er nickte kaum merklich.
Der Typ nahm die Knarre herunter und ließ sie in die Innentasche seiner Jacke gleiten. Er trat zur Tür, öffnete sie einen Spalt breit und spähte nach draußen. Als er sich sicher glaubte, verließ er das Zimmer, ohne ein weiteres Wort.
Die Tür schloss mit einem leisen Knacken. Ben blieb irritiert zurück. Unzählige Fragen stahlen sich in seinen Verstand und versuchten Antworten aus ihm herauszukitzeln. Doch er hatte keine. Er wusste nicht, warum der Spanier die 40.000 Euro noch einmal forderte. Auch wusste er nicht, warum Alex die Polizei gerufen hatte. Im Grunde wusste er gar nichts.
Er blieb noch einen Moment ruhig liegen und versuchte sich zu sammeln. Als er sich dann mit Mühe ein Stück aufrichtete, kehrten die Schmerzen beißend zurück. Er kniff seine Augen zusammen und unterdrückte ein lautes Fluchen.
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