Sommermond
Villa schritt. Alex konnte sich ein schmieriges Grinsen nicht länger verkneifen. Dann löste er die Handbremse, schaltete in den Rückwärtsgang und rollte von der Einfahrt. Er schlug kräftig links ein und fädelte sich in den Straßenverkehr. Dann schaltete er die Scheibenwischer an und spritzte etwas Wasser, das noch mit einem Rest Frostschutzmittel vermischt war, auf die Frontscheibe. Sofort stieg ihm ein altbekannter Geruch in die Nase, der ihn an seine Kindheit und Eisbonbons erinnerte. Schon damals hatte er den Geruch nicht genau definieren können. Aber er mochte ihn.
Während er über die Elbchaussee fuhr, dachte er nach. Er war froh, dass Jo ihm helfen wollte. Dieses Glück konnte er kaum fassen. Dennoch schlich auch die Sorge in ihn zurück, wie es nach der nächsten Übergabe weitergehen sollte. Er hoffte inständig, dass der Spanier ihn in Ruhe lassen würde. Sollte das allerdings nicht der Fall sein, fiel ihm keine andere Option ein – außer der, dem Spanier weiteres Geld anzubieten und sich damit freizukaufen. Ob dies tatsächlich machbar war, war allerdings fraglich.
Alex bog links ab und brachte die letzten Kilometer der Fahrt in wenigen Minuten hinter sich. Als er am Krankenhausgelände ankam, fuhr er in eine Parklücke, schaltete den Motor ab, zog den Schlüssel und stieg aus. Er schmiss die Fahrertür zu und eilte zum Haupteingang. Er konnte es kaum erwarten, Ben zu sehen. Es gab viel zu besprechen. Außerdem sehnte er sich nach seinem Freund – auch, wenn er sich dies nicht eingestehen wollte. Derartige Gefühle stammten für ihn aus einer Kategorie, in die er mit seinem Schwulsein nicht hineinrutschen wollte.
Im Krankenhaus hastete er die Treppen hinauf und durchquerte den weißen Flur bis zu Bens Zimmer. Dort klopfte er leise an, bevor er eintrat.
Ben war jedoch nicht da. Weder er noch sein Bett.
Wie von selbst verlangsamten sich Alex‘ Schritte. Er blieb einen Moment ratlos inmitten des Raumes stehen, bevor er zu einem der Stühle schritt und sich setzte. Nachdenklich streifte er sich seine Jacke von den Schultern und hängte sie über die Stuhllehne. Er hoffte, dass es Ben gut ging. Bens Eltern hatten dies eigentlich bestätigt, dennoch sorgte er sich um den Dunkelhaarigen. Als er zur Seite blickte, sah er, dass der kleine Computer, der Bens Puls und Blutdruck überwacht hatte, ausgeschaltet war. Das war ein gutes Zeichen. Auf seinem Nachtschrank lag eine geöffnete Schachtel Pralinen, darunter ein Stapel Zeitschriften. Alex richtete sich auf und zog wahllos ein dickes Magazin heraus. Es war das GAM, Ausgabe 6 . Das Cover war ein Foto eines abstrakten Gebäudes, das zwischen dem Grün dichter Bäume hervorlugte. Alex blätterte es auf und überflog Impressum und Inhaltsverzeichnis. Dann ließ er alle Seiten an seinem Daumen vorbeischnellen und blätterte auf die letzte Seite. Sein Blick fiel auf die Seitenzahl.
„256 Seiten über außergewöhnliche Architektur …“, murmelte er, bevor er das Magazin wieder zuklappte. „Wer’s braucht …“
Er stand auf und wollte es zurück zwischen die anderen Zeitschriften schieben, als sich die Tür hinter ihm öffnete. Als Ben ihn vom Bett aus sah, richtete er sich ein Stück auf und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Die Schwester schob das Bett zurück an seinen Platz und verabschiedete sich.
Alex räusperte sich verlegen. Schnell legte er das Fachmagazin zurück auf den Nachtschrank.
„Na?“, begrüßte ihn Ben. „Willst du dein Studium vielleicht doch weiter machen?“
Alex nahm die Frage auf, erwiderte jedoch nichts. Verunsichert blieb er stehen. Bens Nähe brachte ihn noch immer durcheinander. Er konnte sich nicht dagegen wehren.
Der Dunkelhaarige stellte seine Kopflehne höher und rutschte unter einem schmerzerfüllten Blick in eine aufrechtere Position. Erst in jenem Moment bemerkte Alex, dass Ben sich umgezogen hatte. Er trug kein hässliches Krankenhaushemd mehr, sondern ein schwarzes, enganliegendes T-Shirt. Er war zwar blass und sah krank aus, aber trotzdem empfand ihn Alex als sexy und konnte seine Augen nur schwer von ihm lassen.
„Ich war schon wieder beim Röntgen“, erzählte Ben von selbst. „Heute Morgen wurde die Drainage gezogen. Die wollten sich nur vergewissern, ob meine Lunge das mitmacht.“
Alex nickte gedankenverloren.
„Und?“, war das Einzige, was er hervorbrachte.
„Alles bestens. Es geht bergauf.“ Ben lächelte.
Alex nickte erneut. Bens Anblick fesselte ihn. Es war fast, als ob er
Weitere Kostenlose Bücher