Sommernachts-Grauen
sich hier nie wirklich wohl.
Zudem überstiegen die Preise für Getränke eindeutig ihr Budget. In erster Linie wurde Sekt getrunken. Wenn Ella sich an der Bar ein Bier bestellte, meinte sie sich dafür beinahe entschuldigen zu müssen. Warum sie trotzdem immer wieder der Weg hierher führte, war meist ihren Freunden geschuldet, die es lustig fanden, sich zwischen all diese Paradiesvögel zu stellen, sie zu beobachten und über sie zu lästern.
„Wollen wir nicht zuerst hier was trinken?“, fragte Thomas.
„Auf gar keinen Fall“, motzte Reiner.
„Du hast doch mal gar nichts zu melden.“
„Nein, lass uns zuerst ins ‚Madhouse‘ gehen. Ich will sehen, ob Frank, Meier und Manuela da sind“, sagte Ella zu Thomas und versuchte Reiner zu ignorieren.
Im Gegensatz zum ‚Stairways‘ war es vor dem ‚Madhouse‘ leer. Nur ein paar wenige Gestalten lungerten vor dem Tunnel, der in das Innere führte. In der Nacht standen die großen Flügeltüren weit offen. Ein langer, nur spärlich beleuchteter Gang zog sich bis zum eigentlichen Eingang hin. Ella wusste nicht, wozu man vor das ‚Madhouse‘ diesen langen Gang geschaffen hatte.
Wäre sie jemals bewusst tagsüber hier gewesen, ihr wäre sicher aufgefallen, dass an der Straße lediglich eine Art Baracke stand, die mit eben diesem Gang zum Hinterhaus verbunden war. Das Haus war eines der größeren Gebäude der letzen Rudimente des Gängeviertels. Die gesamte Gegend war vollkommen heruntergekommen. Die Fassaden der Häuser bröckelten und benötigten dringend frische Farbe. Wenn gegenüber auf der anderen Straßenseite nicht dieses aus den 60er Jahren stammende – und vor allem große – Bürohochhaus stehen würde, hätte man annehmen können, sich in einem der ärmsten Viertel der Stadt zu befinden.
Nachdem die vier den Tunnel durchschritten hatten, standen sie vor einer weiteren roten Flügeltür, vor der die Kollegen von Mike die Gesichter kontrollierten.
„Hi Ella“, sagte einer von ihnen, „du weißt doch, dass ich dich mit nur einer Begleitung reinlassen kann.“
„Ach komm schon, das ist mein Freund“, sie zog Reiner mit einer Hand an sich, „und an Susi erinnerst du dich doch sicher, das ist meine beste Freundin. Den da kenn ich nicht. Der läuft uns schon ‘ne ganze Weile hinterher.“
Vorsichtshalber hatte sich Susi ein wenig von Thomas gelöst, dem sie zuvor mehr oder weniger am Arm hing. Die Gefahr, nicht umsonst Einlass zu bekommen, schien ihr zu groß. Der Eintrittpreis war mit zwölf Mark recht hoch, zumal man auch nur einen Getränke-Bon dafür bekam und das Bier so teuer war, dass man es sich zweimal überlegte, ob es lohnte sich hier zu betrinken.
„Soll ich was für dich tun?“, fragte der Türsteher.
„Nein, schon gut, lass ihn ruhig rein. Der tut niemandem was.“
„Okay, dann will ich heute mal ‘ne Ausnahme für dich machen und deine Freunde reinlassen. Aber du weißt …“
„Ja, ja, keine Gertränke-Bons. Aber für mich hast du doch noch einen, oder?“
„Mann, Ella, du weißt, wenn das raus kommt, dann hab ich echt ein Problem.“
„Du bist ein Schatz.“ Sie zwinkerte ihn an.
Ihre Freunde und Thomas waren bereits an ihr vorbei im Inneren verschwunden. Der Türsteher warf der Kassiererin einen Blick zu, dass es in Ordnung ginge, zwei von ihnen lediglich einen Stempel aufzudrücken.
„Sag mal“, sagte Ella, schon in der Tür stehend, „wo steckt denn Mike heute?“
„Hast du es noch nicht gehört?“
„Nein, ich hab doch kaum noch Kontakt zu ihm. Was ist denn mit ihm, geht es ihm nicht gut, ist er krank?“
„Ich hoffe nicht. Aber er bleibt erstmal zu Hause. Einer seiner Freunde hat Aids. Und dem geht’s wohl echt schon richtig scheiße.“
„Wie bitte?“
Noch nie hatte Ella davon gehört, dass jemand tatsächlich an Aids erkrankt war. Sie glaubte, das sei so eine Seuche, die niemanden was angehen würde. Das fingen sich höchstens Schwule ein, wenn überhaupt. Sie hatte den Leitartikel im ‚Spiegel‘ gelesen und war entsetzt über das Ausmaß und den Verlauf der Krankheit, der mit Sicherheit tödlich war.
„Komm schon Ella, das wusstest du nicht? Mike hat einen Freund.“
„Ja klar, er hat doch viele Freunde, die meisten kenne ich sogar.“
„Hat Mike dir denn nie erzählt, dass er auch auf Männer steht?“
Ella hatte den Eindruck, als würde schlagartig sämtliche Farbe ihr Gesicht verlassen wollen.
„Das hat er wohl irgendwie vergessen.“
„Na macht ja nix. In letzter Zeit
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