Sommernachts-Grauen
genügend Menschen, hinter denen sie sich verstecken konnte. Oder es würde sich eine andere Möglichkeit finden, um zu fliehen.
Sie gingen das kurze Stück bis zur nächsten Ecke, an der ‚Garbers‘ lag, auf der Straße, da es hier keinen Fußweg gab. Obwohl kaum Verkehr war, fuhr ein Auto mit hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbei, sodass sie gezwungen waren, zwischen den parkenden Wagen Schutz zu suchen.
„Blöder Bauer“, rief Meier dem Fahrer hinterher und an Ella gerichtet, „So ein dämlicher Spinner. Hast du dich verletzt?“
„Nein, mir geht es gut. Noch. Ich hoffe, das wird auch so bleiben.“
„Aber klar, ich passe auf dich auf, das habe ich doch gesagt.“
Sie waren zwischen den Autos auf die Straße getreten und gingen weiter.
„Ja, das hast du. Aber was hast du damit gemeint?“
„Ella, ehrlich, das wird mir langsam echt zu blöde mit dir.“
Er hatte eine Tür geöffnet und sie mit einer Hand hineingeschoben. Laute Musik durchdrang den Flur, in dem ein kleiner Tresen stand, der aber nicht besetzt war.
„Das Gute ist, dass es jetzt um diese Uhrzeit nichts mehr kostet. Ist aber sowieso total billig, die nehmen nur zwei Mark Eintritt. Richtig süß, oder?“
Ella nickte. Er verhielt sich wie immer, als sei bei all dem nichts Ungewöhnliches. Dabei sollte er doch ebenso wie sie verängstigt sein, wenigstens Angst um ihr Leben haben. Aber er brauchte nichts zu befürchten, so glaubte sie, denn er wusste ja schließlich selbst am Besten, wann er sie töten würde.
Am Ende des kurzen Flures führte Meier sie rechts herum in eine Art Saal. Da die meisten Gäste bereits gegangen waren, konnte Ella die Beschaffenheit des Lokals genau erkennen. Inmitten des großen Raumes befand sich eine durch drei hinunterführende Stufen zu erreichende Tanzfläche, auf der sich vereinzelte Nachtschwärmer in ihrer eigenen Welt zu befinden schienen.
Eine Frau hatte die Augen geschlossen und tanzte ausgelassen, weit mit den Armen schwingend, geradezu hüpfend, wie ein Flummi, mit nackten Füßen. Ihre farbenfrohe Kleidung leuchtete im Schein der Lichter. Männer mit langen Zottelbärten standen mehr auf der Fläche, als dass sie getanzt hätten und bewegten ihren Kopf im Takt der lauten Musik, die Ella eher als unerträglich empfand. Foreigner besangen, wie dringlich ihnen irgendetwas war, dass Ella noch nie interessiert hatte und jetzt erst recht nicht.
Überdimensionierte Boxen, die an allen vier Ecken der Tanzfläche standen, sorgten für Beschallung bis an die Schmerzgrenze. Am Ende des Saals befand sich eine Art Bühne, hinter der sich auf einer Leinwand bunt wabernde Farben, wie in einer Lavalampe, bewegten. Sofort war Ella bewusst, dass sie noch nie zuvor in so einer Art Diskothek gewesen war und es auch nicht sein wollte. Die Menschen hier sahen anders aus, was nicht nur an ihrer merkwürdigen Kleidung lag. Alles war anders als in der Stadt. Nun dröhnte ‚My Time – Your Time‘ von Straight Shooter durch den Raum, als noch mehr Männer mit langen Haaren auf die Tanzfläche strömten. Was würde als nächstes gespielt? Etwa ZZ Top?
Ella blieb wie angewurzelt stehen und hatte tatsächlich für einen Moment vergessen, warum sie hergekommen, beziehungsweise, sie hier her verschleppt worden war. Sie wollte im Prinzip nur eines: ganz schnell, ganz weit weg.
„Willst du ein Bier?“, schrie Meier sie an und ihr war augenblicklich eingefallen, dass sie wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben hatte und es das letzte Bier war, dass sie je trinken würde. Sie nickte mit dem Kopf, während Meier sich auf den Weg zum Tresen machte. Hektisch sah sie sich um. Gab es einen Fluchtweg? Wie sollte sie es anstellen, von hier wegzukommen? Sollte sie einen der Kerle ansprechen, ob der sie mit nach Hause nehmen und verstecken würde?
Sie drehte sich in Richtung Ausgang um. Geradeaus zog sich ein Flur entlang, der offensichtlich zu den Toiletten führte, denn sie sah, wie eine Frau aus einer Tür kam und sich ihre Hände an der Jeans abwischte. Vielleicht würde Ella dort eine Frau finden, die sie mit in die Stadt nehmen würde und wenn sie Glück hatte, dann würde Meier es nicht bemerken, denn der stand am Tresen und versuchte einer Bedienung klar zu machen, was er wollte.
Schnellen Schrittes war Ella den Flur hinuntergelaufen und in der Toilette verschwunden. Trotz des kurzen Stücks war sie vollkommen außer Atem. Ihr Herz schlug schnell und der Schweiß war ihr ausgebrochen. Im Waschraum war es vollkommen
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