Sommernachts-Grauen
der dann irgendwo mit seiner blöden Frau herkam.“
Noch bevor einer der umstehenden Beamten hätte handeln können, schmiss Reiner seine Krücken zur Seite und warf sich auf ihn.
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„Ich weiß auch nicht mehr, als das, was in der Zeitung stand“, sagte Reiner.
„Is’ klar, Mann, verarsch mich ruhig“, Claus zog an seiner Zigarette, „meinst du, Ella erinnert sich noch an mich?“
„Davon würde ich ausgehen.“
„Super, ich dachte, ich müsste ausziehen.“
„Nein, es ist gut, dass sie nicht allein ist.“
„Und wie soll ich mich ihr gegenüber verhalten?“
„Ganz normal, so wie immer eben.“
„Ich war ja nie hier, wenn sie da war.“
„Was weiß ich, sei eben wie du bist und verstell dich nicht.“
Dumpfes Humpeln über abgeschliffenem Boden im Flur unterbrach ihre Unterhaltung. Ohne Krücken bewegte Ella sich mühsam durch die Wohnung. Ein kleiner Gips zierte ihr Bein. Die Rippenbrüche waren bereits so gut wie verheilt. Einige Wochen hatte sie im Krankenhaus verbringen müssen, einen Teil davon hatte man sie mit Medikamenten ruhig gestellt, damit die leichten Risse in ihrer Lunge abheilen konnten. Als sie wieder zu sich kam, war die Erinnerung an diese eine Nacht, und alles was danach geschah, verschwunden.
Für Reiner war es verdammt schwer, so zu tun, als sei nichts passiert. Denn diese eine Nacht hatte sein Leben verändert. Nicht nur, dass er inzwischen Design studierte, er hatte sich einen Job in einer Werbeagentur gesucht, die Unterkunft in der Admiralitätsstraße verlassen und wohnte in einer hübschen kleinen Wohnung in der Dietmar-Köhl-Straße , in der er hoffte, irgendwann einmal mit Susi leben zu können. Ihr ging es den Umständen entsprechend gut und sie konnte das Krankenhaus verlassen, um sich in einer Klinik in Mölln einer medizinischen Rehabilitation zu unterziehen.
Reiner hatte keine Idee, wie er Ella plausibel erklären sollte, warum er so drastisch sein Äußeres geändert hatte. Die Ärzte hatten ihm gesagt, dass es in seinem eigenen Ermessen liegen würde, was er ihr erzählte. Es könnte durchaus helfen, ihren Gedächtnisverlust zu korrigieren. Aber er war sich nicht sicher, ob das für Ella der richtige Weg war. Denn inzwischen war ihr Gemütszustand nicht mehr trübsinnig wie zuvor.
„Seit wann rauchst du?“, wollte Ella wissen.
Beschwerlich betrat sie die Küche. Ihre Gestalt wirkte geschunden und doch blitzte in ihren Augen Lebensfreude.
„Ich rauche doch gar nicht, das ist Claus, der dir immer die Bude voll qualmt.“
„Ach, hallo, dann bist du also Claus?“ Umständlich hatte sie sich einen Stuhl genommen und sich gesetzt.
„Du erinnerst dich nicht an mich?“
Claus schwante Schlimmes. Er hatte sich extra für den Tag ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus freigenommen, um seine Stellung in ihrer Wohnung zu untermauern.
„Nein, sollte ich?“
Ella wusste, dass sie an Amnesie litt, glaubte jedoch, dass sie sich an alles erinnern konnte, was ihr vorheriges Leben betraf. Man hatte ihr vorsichtig angedeutet, was geschehen war, allerdings auf Details verzichtet, um ihren Zustand nicht zu verschlimmern.
„Du wohnst mit Claus zusammen“, sagte Reiner.
In Ellas Blick lag Entsetzten. Das konnte unmöglich sein. Das durfte nicht sein. Nicht mit so einem Mann.
„Ich bin dein Untermieter“, erklärte Claus.
„Okay“, Ella holte tief Luft, „ich hatte schon angenommen, dass …“
„Nein, auf gar keinen Fall. Ich hab hier nur ein Zimmer.“
„Und wie lange schon?“
„Weiß nicht so genau, ein oder zwei Jahre.“
„Und ich kann mich nicht an dich erinnern.“
Ella wurde schlecht. Es war alles doch wesentlich ernster, als es ihr die Ärzte hatten weismachen wollten.
„Wo steckt eigentlich Susi?“
Mit dieser Frage wollte sie sich selbst beweisen, dass sie nicht alles vergessen hatte. Auch wenn sie sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, dass Reiner sich die Haare hatte schneiden lassen, obwohl sie durchaus wusste, wer er war.
„Sie ist noch immer bei ihren Eltern auf Urlaub.“
„So lange? Das Semester hat doch schon längst wieder begonnen. Wirklich merkwürdig. Sie würde mich auch nie so lang allein lassen. Ich muss sie später mal anrufen.“
„Weißt du, sie wird sich bestimmt bei dir melden, sie macht ja nicht wirklich Urlaub. Ihrem Vater geht’s nicht so gut und sie kümmert sich um alles. Du weißt doch, wie schnell ihre Mutter überfordert ist.“
„Ja, ich weiß das. Aber woher bitte weißt du
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