Sommernachts-Grauen
zwischen Susi und mir passiert ist.“
„Mit Susi?“
„Ja, mit Susi.“
„Willst du damit etwa andeuten, dass …“
„Ja, Ella, genau das. Ich liebe Susi.“
Ella löste sich von Reiner und sah ihn an. Augenblicklich hatte sie vergessen, zu weinen.
„Und du willst mir weismachen, dass auch Susi … Nein, das glaube ich nicht. Sie hasst dich.“
„Du vergisst, dass Hass und Liebe sehr nahe Verwandte sind.“
„Und das reicht dir?“
„Ella, sei nicht albern. Hast du nicht bemerkt, wie Susi mit mir seitdem umgeht? Sieht so Hass für dich aus?“
„Das glaube ich nicht, sie hätte es mir doch bestimmt erzählt. Sie ist meine beste Freundin.“
In diesem Moment wusste Ella, dass dem nicht mehr so war. Sie hatte Susi verloren. Nichts würde mehr so sein, wie es gewesen war. Ella glaubte, dass sich ihr Leben im Schleudergang einer Waschmaschine befand und zudem die Wäsche mit einer farbigen Socke verfärbt worden war. Nie mehr würde ihre Wäsche weiß sein und nie mehr würde sie so strahlend aussehen und ihr Freude bereiten.
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Das Klingeln an ihrer Tür beförderte Ella in eine Realität, die sie versucht hatte, zu verdrängen. Den gesamten Vormittag hatte sie in der Küche am Fenster gesessen. Die Tür zum Balkon blieb verschlossen, obwohl die Luft mittlerweile abgestanden war. Am Morgen hatte Claus einige Zigaretten geraucht, deren kalter Rauch sich mit dem verbrauchten Sauerstoff mischte.
Inzwischen wurde die Klingel an der Tür dauerhaft gedrückt und ein eindringliches Klopfen untermauerte, dass jemand dringend Einlass forderte. Sie hörte, wie ihr Name laut gerufen wurde und hoffte doch darauf, dass er verschwinden würde. Vielleicht, wenn sie die Augen schloss, dann könnte es wie in ihrer Kindheit sein, als sie glaubte, dass wenn sie nichts sah, sie unsichtbar wurde.
„Ella, ich weiß, dass du zu Hause bist. Mach bitte die Tür auf. Oder ich muss Hilfe holen.“
Als Ella auf dem Weg zur Tür war, wurde es so ruhig, dass sie annahm, er sei tatsächlich gegangen. Mühsam griff sie nach der Klinke. Es war ihr, als hätte sie keinerlei Kraft und könnte nur unter großen Schmerzen die Tür öffnen.
„Du bist ja noch nicht mal angezogen“, sagte Meier, „wir müssen doch los. Unten wartet das Taxi auf uns.“
„Wir fahren mit einem Taxi? Was ist mit deinem Auto?“
„Ich dachte, ich spendier uns mal eine Fahrt in einem luxuriöseren Wagen als meiner alten Rostlaube.“
„Meier, ich weiß nicht, ob ich das heute schaffe.“
„Ella, sei nicht albern. Reiner wird auch da sein.“
„Und Frank und die gesamte Familie von Manuela. Ich weiß nicht, ob ich dem gewachsen bin.“
„Ich bin doch bei dir.“
„Aber sie werden mich hassen. Sie werden denken, dass ich an allem schuld bin und ihre Tochter nur deshalb sterben musste.“
„So ein Quatsch. Ella, das ist genau der Grund, weshalb du dich jetzt anziehen und mitkommen wirst. Das muss doch mal ein Ende finden und du musst wieder normal leben.“
Das Taxi fuhr durch eine Einfahrt des ‚Ohlsdorfer Friedhofs‘. Ella hatte keine Erinnerung daran, wie sie hergekommen waren. Wie ferngesteuert hatte sie sich von Meier anziehen lassen. Er hatte sich ihre Hand gegriffen und sie in ihr Schlafzimmer geführt. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, er könnte mit ihr schlafen wollen. Er aber setzte sie aufs Bett und widmete sich dem Inhalt ihres Kleiderschranks.
Es war nicht schwer, eine schwarze Hose und ein Oberteil in einer gedeckten Farbe zu finden. Ella hätte jedoch niemals diese Kombination gewählt, sah sich allerdings außerstande, ihr Veto einzulegen. Als sie bereits dabei waren, ihre Wohnung zu verlassen, blieb sie abrupt stehen.
„Ella, bitte, tu mir das jetzt nicht an und komm einfach mit.“
„Ja, aber nicht in diesen Schuhen.“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst. Was stimmt nicht mit denen, die du trägst?“
„Sie sind schwarz.“
„Ja, ich weiß. Ella, wir gehen auf eine Beerdigung.“
„Ich werde nicht mit diesen Schuhen gehen.“
„Ella, mach mich nicht irre. Was für welche sollen es denn sein?“
Plötzlich schien Leben in Ellas Körper zu fließen und sie schoss geradezu in ihr Schlafzimmer, sodass Meier befürchtete, es könnte sich lediglich um ein Ablenkungsmanöver handeln und sie sich einschließen wollen. Aber in kaum einer Minute war sie zurück.
„So“, sagte sie, „das ist besser.“
„Du willst mit diesen Schuhen gehen?“
„Hast du ein Problem
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