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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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Oder auch »nasse Hose«.
    »Wie lang hast du gewartet?«, fragte der alte Mann erstaunt.
    »Sehr lange. Unendlich lange.«
    »Hast du zufällig auf deine Uhr gesehen und dir die Zeit gemerkt?«
    »Meine Uhr ist bei meinem Sturz kaputtgegangen«, sagte ich. Er kratzte sich am Kopf, als sinne er über ein Rätsel nach. Ich beschloss, nachzulegen. »Schließlich drehte sich der Türknauf, und sie kamen umhüllt von Dunstschwaden heraus, wie in einem Traum oder einem kitschigen Horrorfilm mit Trockeneisnebel über einer Moorlandschaft. Sie hatten sich umgezogen oder eher ihre Schwänze verloren und trugen nun Coco-Chanel-Kleider und Glockenhüte. Sie waren zu Zwanzigerjahre-Girls geworden, voh-doh-di-oh-doh, mit kurzem Bubikopf und langen Perlenketten oder bodenlangen Schals. Bereit, den Charleston zu tanzen.«
    »Haben sie dich auch mit einem Kostüm ausgestattet? Mit Frack und einer Charlie-Chaplin-Melone?«
    »Nein, ich trug nur meinen Bademantel. Keine Melone.«
    »Zu schade«, sagte der alte Mann. »Ich denke schon lange, die Melone ist reif für ein Comeback. Zumindest wir sollten sie tragen, wie zwei ewig wartende Tramps in der Komödie der Zeit.«
    »Sorry, keine Melone«, sagte ich. »Heißt das, dass du letztendlich doch nicht Beckett bist?«
    »Wäre ich Beckett«, sagte er, »gäbe es Melonen.«
    »Laurel und Hardy haben sie getragen.«
    »In Amerika nennt man sie Derby-Hut. Al Smith trug einen 1928 bei der Präsidentenwahl, und das könnte ihn den Job gekostet haben. Und Mercier und Camier, und diese beiden Landstreicher in Godot .«
    »Wie hießen sie noch?«
    »Das vergesse ich immer wieder«, sagte der alte Mann. Und nach einem Weilchen: »Das waren großartige komödiantische Teams.«
    »Meinst du, mit Melonen wären wir besser dran?«, fragte ich.
    Der Blick, mit dem er mich betrachtete, kann nur als liebevoll bezeichnet werden. »Ich glaube, selbst ohne Melonen sind wir ein großartiges Team.«
    Die Frauen, die aus dem Fenster geklettert waren, schöpften Eiskrem vom Dach und türmten sie in Tüten, die sie aus alten, den Archivschachteln entnommenen Trennblättern aus Manilakarton gebastelt hatten. Selbst der kleine Junge ließ es sich gut schmecken, sein Mund war mit Eis und Erdbeersauce verschmiert.
    Ein puppenartiges Grinsen erschien plötzlich auf dem Gesicht des alten Mannes. »Sie haben richtig Freude, nicht wahr? Zweifelsohne verdienen sie es nach all dem, was sie durchgemacht haben.«
    »Du meinst die Geschichten, die sie aus ihrer Vergangenheit erzählt haben?«
    »Selbstverständlich. Nicht allein die Geschichten, sondern ihr Leben selbst, das zählt auch etwas. Und, dass sie dich unterhalten müssen …«
    »Sie waren wie eine Nachtclubshow, diese Charleston-Girls. Eine, die wir bisher noch nicht gesehen haben, spielte Ukulele und sang den ›Hongkong-Blues‹ und ›Paper Moon‹, und alle stellten sich in einer Conga-Line auf und tanzten vom Bad ins Schlafzimmer.«
    Der alte Mann spähte hinaus auf den Flur. »Der ist kaum lang genug für sieben Leute.«
    »Acht. Ich war am Ende der Reihe. Mit viel Hüfteschwingen ging es nur ganz langsam vorwärts. Gerade als ich die Tür erreichte, knallte die Ukulele-Spielerin sie mir vor der Nase zu. Und wieder stand ich im Flur und wartete ganz allein. Hinter der geschlossenen Schlafzimmertür war ungeheurer Tumult, Gelächter und Gekicher, und schwere Gegenstände flogen durch den Raum, als veranstalteten sie eine Kissenschlacht …«
    Mit einem Glucksen wie das einer Henne, die ihre Küken ruft, unterbrach er mich mitten im Satz. Ich hatte mittlerweile Übung darin, seine Stimmungen zu erkennen, und er wirkte verärgert darüber, wohin meine Geschichte führte. »Typische Schuljungenträume. Fantasien der infantilsten Art, die sexy Mädels in ihren Nachthemden, die sich gegenseitig mit prallen Kopfkissen bewerfen, und Federn fliegen durch die Luft. Haut und Taft und noch mehr Haut.« Als die Bilder in sein Hirn drangen, riss er die Augen auf. »Bei Gott, das ist gut.«
    »Nach einer Weile legte sich der Tumult, nur noch Totenstille hinter der Tür. Ich spähte durch das Schlüsselloch, von dem ich wiederum nicht wusste, ob es zuvor schon da war, aber wie auch immer ich mein Auge positionierte, mein Blick traf nur auf schwärzeste Finsternis. Behutsam drückte ich mit einem Finger gegen die Tür, und sie öffnete sich langsam. Das Licht vom Flur drang nicht in die Dunkelheit des Schlafzimmers, sondern gegen jede natürliche Ordnung strömte

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